Buch-Tipp

Henkjan Honing: „Der Affe schlägt den Takt. Musikalität bei Tier und Mensch.“

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AUTOR/IN
Christoph Vratz

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Sind Tiere musikalisch? Dieser Frage geht der niederländische Musikwissenschaftler Henkjan Honing in seinem Buch „Der Affe schlägt den Takt. Musikalität bei Tier und Mensch.“ nach. Eine Spurensuche in Laboren von Verhaltensforschern und Neurobiologen. Christoph Vratz hat das Buch gelesen.

Sein Name: Capi. Er ist sieben Jahre alt, wohnt in Mexiko und ist ein Rhesusaffe.

„Capi, eine Abkürzung für El Capitán (der Kapitän), ein Name, den er bekommen hat, weil er die Hand oft an seine Augenbraue legt, als würde er salutieren.“

Capi soll an einem Experiment teilnehmen. Ziel ist es herauszufinden, ob Capi ein natürliches Taktgefühl besitzt.

„Ist denn nicht, so denken viele Menschen, der Herzschlag die Basis von musikalischem Rhythmus und Taktgefühl? Wenn Affenbabys im Mutterleib ebenso wie Menschenbabys den Herzschlag ihrer Mutter hören, dann müssten sie doch auch Taktgefühl haben.“

Henkjan Honing, Professor für Musikkognition in Amsterdam und Autor einiger populärwissenschaftlicher Bestseller wie „Jeder ist musikalisch“, möchte die biologische Natur von Musikalität erforschen – bei Menschen wie bei Tieren.

„Fast jeder verfügt über musikalische Fähigkeiten, die für die Wahrnehmung und Wertschätzung von Musik wesentlich sind. Denken Sie beispielsweise an das relative Gehör, die Fähigkeit, eine Melodie unabhängig von der exakten Tonhöhe oder dem Tempo, in der sie gesungen wird, wieder zu erkennen; und an das Taktgefühl, das Hören eines Gleichmaßes in einem variierenden Rhythmus, das notwendig ist, um gemeinsam zu tanzen und Musik zu machen.“

Doch gilt das auch wirklich für „alle“ – für Mensch und Tier? Honing stützt sich vor Beginn seiner Forschungen auf eine ältere Erkenntnis:

„Die Reise begann 2009, als ich zusammen mit ungarischen Wissenschaftlern entdeckte, dass schon Neugeborene über Taktgefühl verfügen. Babys hören das Gleichmaß und bemerken Unregelmäßigkeiten in einem variierenden Rhythmus.“

Gibt es also diese Art von Ur-Taktgefühl auch bei anderen Lebewesen? Um Antworten zu finden, ist Honing quer um den Erdball gereist, von Japan bis Amerika, um in verschiedenen Laboren Einblicke in die Praktiken von neurobiologischen und verhaltensbiologischen Forschungen zu erhalten.


Zurück nach Mexiko, zu Capi, dem Rhesusaffen. In diesem Labor hat man beispielsweise versucht, Rhesusaffen beizubringen, einen Joystick regelmäßig und synchron zum Ticken eines Metronoms zu bewegen. Nun werden die Voraussetzungen entwickelt, um neue verlässliche Messdaten zu erhalten. Dann beginnt das Experiment.

„Wir dimmen das Licht im Raum. Im Hintergrund erklingen leise die sorgfältig zusammengestellten Rhythmen des Hörexperiments. Im Kontrollraum sehe ich auf einem Schwarz­Weiß­Monitor, dass Capi hin und wieder einnickt […] Das ist der Moment, in dem wir seine Hirnaktivität in Reaktion auf die Rhythmen messen können.“

Honing gelingt es, in seinem Buch immer wieder die Spannung hochzuhalten. Bevor er nun dem Leser mitteilt, wie die Versuchsreihe im Detail verläuft, macht er einen Schnitt und berichtet zunächst von Erkenntnissen über Takt-Taubheit oder Menschen ohne Rhythmus-Gefühl. Nach Wochen erhält Honing Nachricht über die ersten Ergebnisse:

„Entgegen unserer Erwartung geht aus den [..] Tests hervor, dass die Ausschläge im Hirnsignal bei Capi bei bestimmten Tonhöhen schwächer sind als bei den meisten anderen. Ein Unterschied, den man aufgrund der Beschaffenheit der Stimuli nicht erwarten würde. Denn der Rhythmus bleibt schließlich derselbe, ganz gleich wie die Tonhöhe variiert.“

Doch dann folgt die Kunde: Capi sei nachweisbar teilweise taub. Die Messreihe muss mit einem weiteren Rhesusaffen fortgeführt werden. Die einzelnen Ergebnisse dieser Versuche sollen an dieser Stelle nicht verraten werden. Nur so viel: Es ist eine Mischung aus Rückschlägen, überraschenden Wendungen und Erfolgen. Honing verfolgt nämlich nicht nur das Ziel, seine Experimente an Affen nachzuweisen, sondern auch an Vögeln.

„Zebrafinken sind uns […] genetisch sehr fern; das Gehirn von Vögeln hat eine völlig andere Struktur als das von Primaten (Affen und Menschen).“

Warum dennoch Vögel? Stark verallgemeinert, lässt sich das Gehör von Vögeln mit dem Gehör von Menschen vergleichen.

„Vögel verwenden Laute für alles Mögliche. Vom Aufspüren von Feinden über die Futtersuche (beispielsweise die Eulen) bis zur Identifizierung von Artgenossen und anderen Vögeln. Dazu müssen sie Laute unterscheiden (wer ist ein Artgenosse und wer nicht?) und erkennen können, woher ein Geräusch kommt (wo befindet sich ein Raubtier und wo eine Maus?).“

Wieder folgt Honing seinen bewährten darstellerischen Mitteln: Er gießt seine Erfahrungen in eine fortlaufende Erzählung, die nicht trocken und statisch ist wie ein naturwissenschaftliches Protokoll, sondern die von großer Anschaulichkeit lebt.

Auch wer kein Neurologe, kein Biologe, kein
Musikwissenschaftler ist, kann den einzelnen Etappen dieser Forschungsreise genau folgen. Es ist eine spannende und lesenswerte Reise, und das in jeder Hinsicht. Denn sie führt uns nicht nur in die Hinterzimmer von sonst unzugänglichen Laboren, sondern – viel wichtiger noch – zu den Ursprüngen unserer Musikalität.

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Christoph Vratz