Gespräch

Vor dem Anpfiff zur Fußball-WM in Qatar – Die FIFA hat eine Chance verpennt

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Wilm Hüffer

Die umstrittene Fußball-WM in Qatar zeigt: Sport kann keine politischen Veränderungen bewirken. Das sagt der Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch Deutschland, Wenzel Michalski, im Gespräch mit SWR2. Stattdessen brauche es beim Weltfußballverband eine andere Führungsriege.

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Veränderungen erwartet – aber nicht eingetreten

Nicht am Bildschirm bei der Fußball-WM mitzufiebern wird beim Weltfußballverband FIFA wenig Eindruck machen, glaubt Wenzel Michalski. Im Gespräch mit SWR2 billigt er einer solchen Geste nur begrenzte Wirkung zu: „Vielleicht wird es den DFB und Sponsoren ermutigen, in der Zukunft noch mehr Druck auf die FIFA auszuüben.“ Doch seien viele kleinere Fußball-Verbände finanziell stark abhängig von der FIFA: „Da wird sich (FIFA-Präsident) Gianni Infantino die Stimmen schon kaufen können.“

Michalski ist der Ansicht, jetzt sei es viel zu spät für einen WM-Boykott. „Vielleicht 2015 oder so“, hält er im Rückblick für den richtigen Zeitpunkt. Damals habe Human Rights Watch das allerdings nicht gefordert: „Weil wir gesagt haben, vielleicht ändert sich was.“

Der Glaube, der Fußball und der Weltfußballverband könnten politische Veränderungen bewirken, sei jedoch ein Irrtum gewiesen: „Diese Chance haben sie (die FIFA) verpennt.“

„Diversity Wins“: Auf dem WM-Flieger der deutschen Nationalmannschaft prangt ein Statement für Vielfalt. (Foto: IMAGO, Schüler)
„Diversity Wins“: Mit dem WM-Flieger der deutschen Nationalmannschaft will die Lufthansa ein Zeichen für Offenheit und Vielfalt setzen. Im Stadion sind politische Statements, etwa das tragen der Regenbogen-Armbinde allerdings nicht erwünscht. Schüler

Bedenklich auch der Umgang mit den Fans

Tatsächlich habe es in Qatar höchstens schwache Anzeichen von Verbesserungen bei den Menschenrechten gegeben. Als Beispiel nennt Michalski die Arbeitsbedingungen.

Auf den Baustellen für die WM-Stadien seien internationale Standards eingeführt worden – allerdings nur für eine kleine Minderheit: „Es betrifft nur 0,2 Prozent der Arbeiter, ungefähr 40.000 Arbeiter.“ Dabei, so Michalski, gebe es in dem Emirat insgesamt zwei Millionen Arbeitsmigrant*innen. Michalskis bilanziert daher: „Das ist eine Maskerade – wer weiß, ob das nach der WM so weitergeführt wird.“

Bedenklich ist aus Sicht der Menschenrechtsorganisation auch der Umgang mit Fans. Zwar sei schwulen Fußball-Anhängern aus aller Welt, die das Spektakel vor Ort verfolgen, freies Geleit zugesichert worden. Aber die müssten wissen, dass das für Einheimische nicht gilt: „Die gehen ins Gefängnis, wenn sie sowas machen.“

„Wir brauchen eine andere Führungsriege“

Für die Vergabe von Weltmeisterschaften müsse daher in Zukunft gelten, dass sich die FIFA an ihre Menschenrechts-Agenda hält, die sie sich 2019 selbst gegeben hat. Michalski ist allerdings skeptisch, ob dies unter der Präsidentschaft von Infantino umgesetzt wird. Er fordert deshalb: „Wir brauchen eine andere Führungsriege.“

Wenzel Michalski (59) ist seit 2010 Direktor von Human Rights Watch Deutschland. Zuvor war er 20 Jahre lang als Fernseh-Journalist für diverse deutsche Programme tätig.

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Wilm Hüffer