Zeitgenossen

Ines Geipel: Der Osten hat ein "Erzählloch"

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Doris Maull

Ines Geipel ist das, was man eine unbequeme Zeitgenossin nennt. Die ehemalige DDR-Hochleistungssportlerin begann im Alter von 14 Jahren mit dem Laufen. "Ich hatte keine Wörter für den Schmerz, in dem ich lebte. Der Körper musste schnell werden, damit ich den Schmerz nicht spürt"“, sagt die heute 59-Jährige.

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"Sportverräterin"

Schon früh kritisierte Geipel das Zwangsdoping-System des DDR-Regimes und musste daraufhin ihre Sportkarriere beenden – sie wurde zur "Sportverräterin", wie es im Jargon der Staatsicherheit hieß. "Man war der Feind und wie eine Diktatur mit Feinden umgeht, ist ja klar", so die ehemalige DDR-Athletin. 1989 floh sie aus dem Land, noch bevor die Mauer fiel.

DDR-Vergangenheit klar kriegen

Im Westen kämpfte Ines Geipel danach unermüdlich gegen das, was ihr in der DDR widerfahren war. "Ich glaube, wenn wir das Vergangene nicht klar kriegen, sind wir gezwungen zu wiederholen", so ihre eindringliche Warnung. In ihrem Umfeld sei immer viel geschwiegen worden und deshalb gebe es heute keinen anderen Weg, als sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. "Um alles zu erzählen, was passiert ist, werden wir allerdings noch Zeit brauchen", räumt sie ein. Denn in einer schnelllebigen, über-medialisierten Gesellschaft brauche es "einen Atem, um das Geschehene sichtbar zu machen."

Bis heute engagiert sich die Journalistin und Professorin für Verssprache an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch für einen schonungslosen Umgang mit der DDR-Vergangenheit.

Die Seelenkosten der Einheit

In ihrem jüngsten Buch "Umkämpfte Zone" hat sie ihre höchstproblematische Kindheit als Tochter eines Stasi-Spions aufgearbeitet. "Ich habe die Familiengeschichte erzählt, weil ich weiß, dass wir uns nach 1989 an einer Aufarbeitung der engen Verzahnung von Verdrängung und Gewalt im Osten herumgeschummelt haben." Es gäbe so etwas wie ein "Erzählloch", so Geipel. Zudem bräuchten wir ein inneres Narrativ für den Osten. "Es gibt ein glückliches Ich, aber ein unglückliches Wir. Über diese Spannung müssen wir sprechen, über die Seelenkosten der Einheit." Schließlich gingen Ost und West ja nicht mehr auseinander. "Dann können wir die nächsten 30 Jahre auch Ernst machen mit der Einheit."

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