Kontakte zu Mussolini und zu Hitler-Deutschland
„Man kann ihn sowohl als radikalen Nationalisten als auch als Faschisten bezeichnen“, sagt der Berliner Historiker Grzegorz Rossoliñski-Liebe über Stepan Bandera, einen Politiker, an dem sich die Geister scheiden. Stepan Bandera wurde 1909 im westukrainischen Staryj Ukryniw geboren, damals Teil der Habsburger Monarchie. Er stand an der Spitze der Organisation Ukrainischer Nationalisten OUN. 1959 fiel er im Münchner Exil dem Gift-Attentat eines Sowjetagenten zum Opfer. An seine Münchner Grabstätte pilgern seine ukrainischen Anhänger bis heute.
Bandera sei von den faschistischen europäischen Diskursen geprägt worden, sagt Rossoliñski-Liebe: „Die Kontakte zu Mussolini, zu Hitler-Deutschland machen klar, dass die OUN den transnationalen Faschismus rezipiert hat, erst aus Italien, dann aus Deutschland, und dann ihren eigenen ukrainischen Faschismus konstruiert hat.
Banderas proklamierte einen unabhängigen ukrainischen Staat an der Seite Hitler-Deutschlands
Bandera stieg in den 1930-Jahren in den engeren Führungszirkel der OUN auf, der Organisation Ukrainischer Nationalisten. Wenige Tage nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion proklamierte Banderas OUN in Lemberg einen unabhängigen ukrainischen Staat an der Seite Hitler-Deutschlands. Doch den Nationalsozialisten passte das nicht. Sie bevorzugten ihr eigenes Besatzungsregiment. So nahmen sie Bandera im KZ Sachsenhausen bei Berlin in Ehrenhaft. Banderas OUN sowie andere nationalukrainische Gruppen kämpften zur gleichen Zeit in der Vielvölkerregion der westlichen Ukraine überwiegend auf deutscher Seite für einen ethnisch reinen ukrainischen Staat.
Ihre Hauptfeinde - die Juden, Polen und Russen – hätten die OUN teilweise vertreiben, teilweise ermorden wollen, sagt Rossoliñski-Liebe: „Vor allem nach dem Angriff der Deutschen auf die Sowjetunion hat der OUN deutlich gemacht, dass man Massenmorde begehen kann, dass man dadurch einen ethnisch reinen ukrainischen Staat haben kann.“
Zu Banderas Grab in München pilgerte schon Ukraine-Botschafter Andrej Melnyk
Banderas Kämpfer verübten Massaker an den polnischen Bewohnern der Westukraine, in Ostgalizien und im nordöstlich angrenzenden Wolhynien. 1943/44 metzelten sie bis zu 100.000 Zivilisten nieder. Teilweise wandten sie sich nun auch mit Waffen gegen die vormals verbündeten Deutschen. Seit Kriegsende konzentrierten sie sich auf den Widerstand gegen die Sowjetherrschaft. Ihre faschistischen Verbrechen kehrten sie unter den Tisch.
Nach dem Krieg, als Bandera in Westdeutschland lebte, kämpften seine Partisanen bis tief in die 50er-Jahre für eine unabhängige Ukraine. Die sowjetischen Machthaber gingen dagegen mit brutaler Gewalt vor. Das beförderte den Bandera-Kult zu sowjetischer Zeit im Exil sowie in der unabhängigen Ukraine seit 1991. Zu Banderas Grab in München pilgerte auch schon Andrej Melnyk, der Botschafter der Ukraine in Deutschland.