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Sensible Lektüre – Wie korrekt sollen Bücher sein?

Stand

Lukas Meyer-Blankenburg diskutiert mit
Prof. Dr. Andrea Geier, Literaturwissenschaftlerin, Universität Trier
Hadija Haruna-Oelker, Journalistin und Autorin, Frankfurt
Dr. Rainer Moritz, Leiter des Literaturhauses Hamburg

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Kinderbuch-Klassiker, Schullektüre, moderne Belletristik – immer häufiger unterziehen Verlage ihre Bücher einem „sensitivity reading“, streichen diskriminierende Begriffe und mögliche Beleidigungen.

Von zeitgemäßer Anpassung sprechen Befürworter, von Zensur die Kritiker. Können Autoren noch schreiben, was sie wollen? Große Werke der Weltliteratur wie „Die satanischen Verse“ oder „Huckleberry Finn“ hätten eine solche sprachliche Überprüfung wohl nicht überstanden.

Wie diskriminierend und rassistisch darf Literatur sein?

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Was geht - was bleibt? Zeitgeist. Debatten. Kultur. Sensitivity Reading: Sollen wir verletzende Literatur umschreiben?

In einem der Kinderbücher des britischen Autors Roald Dahl statt fett heißt es nun kräftig, James Bond soll in der Neuauflage der Romane nicht mehr so sexistisch sein: Ist das Zensur oder zeitgemäß? Und was macht diese Debatte mit unserem Verständnis von Literatur und Autorschaft?

“Es gibt Editionswissenschaften, wenn ich die Texte wirklich so lesen will, wie sie ursprünglich erschienen sind, kann ich das machen”, sagt Aşkın-Hayat Doğan. Er ist professioneller Sensitivity Reader, jemand der Bücher mit Blick auf Stereotype und realistische Darstellungen lektoriert - immer nur als Vorschlag, nie als Vorschrift. “Literatur darf immer noch alles.” Aber er betont auch: “Literarische Originalität ist nicht wichtiger als die Verletzung, die der Text bei anderen anrichtet.”

Wenn es um Änderungen an bereits publizierten Texten geht, ist Jens Jessen, ehemaliger Literaturchef der ZEIT, kritischer: “Natürlich dürfen scheußliche Gestalten in Romanen oder Theaterstücken auftauchen. Auf die Spitze getrieben hieße das sonst, wir landen wieder bei einer strengen Zensur wie im 17. Jahrhundert.” Die Autor*innen hätten vor 100 oder 200 Jahren eben nicht so geklungen wie wir heute.

Also alles eine aufgeblasene Debatte oder doch ein Problem für die Kunstfreiheit? Hört rein und bildet euch selbst eine Meinung!

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Wenn Kinderbücher umgetextet werden, bricht zuverlässig Empörung aus. Dann heißt es schnell, die Kunstfreiheit sei in Gefahr. Ist das wirklich so schlimm, wenn der N***-König in Pippi Langstrumpf in Südsee-König umbenannt wird? Ist das ein Anschlag auf die Sprache? Nicole Diekmann und Stephan Anpalagan diskutieren in „Gegen jede Überzeugung“

Überarbeitete Kinderbücher Gelassenheit statt Kulturkampf: Die Debatte um Änderungen in Roald Dahls Büchern

Die Bearbeitung von Kinderbüchern von Roald Dahl hat einen heftigen Streit um Zensur ausgelöst. Aber handelt es sich wirklich um Zensur? Oder vielleicht eher um den zeitgemäßen Versuch, diese Texte von Stereotypen und Diskriminierung zu befreien? Der Literaturwissenschaftler Johannes Franzen von der Universität Siegen hat sich mit Roald Dahls Büchern beschäftigt und rät zu Gelassenheit.
Roald Dahl ist bekannt und auch geliebt für seinen schwarzen Humor und die Gemeinheiten in seinen Geschichten. Auch Kinder lieben ihn dafür. Wenn nun in aktuellen Bearbeitungen Begriffe, die verletzend wahrgenommen werden, verändert werden, mag das diesen Charakter der Bücher Dahls schmälern. Nicht aber die Inhalte und Stories so verändern, dass sie nicht wiedererkennbar wären, meint Johannes Franzen. Die Notwendigkeit oder zumindest das Interesse an den Anpassungen sieht der Literaturwissenschaftler auch ganz pragmatisch. Etwa auf Seiten der Erbengemeinschaft von Roald Dahl, deren Anliegen es gerade in Hinblick auf den Verkauf von Rechten ist, dass die Bücher zeitgemäß bleiben.
Kinderbücher als besondere Fall in der Debatte
Für das Genre „Kinderbuch“ ist die Frage um Adaptionen und Aktualisierung besonders spezifisch. Einerseits, so Franzen, ist Kindern die philologische Integrität von Büchern relativ egal. Sie wollen gute Geschichten lesen. Andererseits sind Kinder zugleich schutzloser, können Dinge nicht so einfach kontextualisieren. Das wäre die Aufgabe der Eltern, denen oft die Kapazitäten und vielleicht auch die Lust dazu fehlen. Adaptionen und Veränderungen, die ja auch für andere Stoffe längst üblich sind, kennt man deshalb schon lange.
Tradition der Adaption
Auch für die Stoffe von Roald Dahl gibt es diese Adaptionen schon länger. Angesichts der kritikwürdigen Person Dahl – er war offener Antisemit – kein Wunder. Zugleich, so Franzen, könnte man auch die Frage stellen, warum Bücher, in denen es so explizit auch immer wieder um das Bestrafen und Auslagen geht, tatsächlich noch Relevanz haben sollten. Aber das ist ein Prozess, der gesellschaftlich verhandelt werden muss. Was Dahl betrifft, faszinieren viele Leser seine Figuren und Geschichten bis heute.
Gelassenheit statt Kulturkampf
Die von Salman Rushdie nun ausgelöste heftige Debatte führt Johannes Franzen eher auf eine Politisierung des Umgangs mit Literatur zurück. Schon Dahl selbst hat unter Einfluss von Verlegern und seinem Umfeld seine Figuren und Geschichten verändert und bearbeitet. Im Streit jetzt geht es leider weniger um eine differenzierte Betrachtung von Literatur und ihrer Rezeption, sondern um die Vereinnahmung dieses Falls in die Debatte um linke und linksliberale Cancel-Culture.

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