Gespräch

Sebastian Turner will mit „Deep Journalism“ die Berichterstattung retten – „Der Kniff ist die Bündelung der Interessenten“

Stand
INTERVIEW
Wilm Hüffer

Immer weniger Inserate oder Werbespots – diese Klagen führen Medienunternehmen überall auf der Welt als Grund an, dass sie zunehmend redaktionelle Inhalte („Content“) reduzieren. Der Medienunternehmer Sebastian Turner glaubt, dass es einen Weg aus dieser Sackgasse gibt – durch eine Vertiefung und Spezialisierung der Inhalte. Sie führe dazu, dass sich letztlich mehr Leute für sie interessieren.

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Mit Deep Journalism Qualität schaffen

Als scheinbar unabwendbares Schicksal stellen Medien vom Printbereich bis zum elektronischen Sektor die Spirale aus geringer werdenden Werbe-Einnahmen und schwindendem redaktionellem Inhalt dar. Sebastian Turner, der das Unternehmen „Table Media“ betreibt, vertritt in seinem Sachbuch „Deep Journalism – Domänenkompetenz als redaktioneller Erfolgsfaktor“ eine Gegenposition.

Im Gespräch mit SWR2 sagt Turner: „Man muss einen Weg suchen und finden, wie man Qualität beschafft.“ Turner glaubt, ihn gefunden zu haben.

Mehr Fachleute für mehr inhaltliche Tiefe

Turner berichtet, wie er mit Kolleginnen und Kollegen beim Berliner „Tagesspiegel“ begann, spezialisierte Briefings zu einzelnen Themen anzubieten. Hier inhaltliche Tiefe zu erreichen, sei gelungen, weil man die Zahl der Fachleute vergrößerte. Das habe er später mit seinem Unternehmen fortgesetzt.

Den schlichten Ansatz bringt Turner auf den Satz: „Wir kombinieren die Merkmale einer Tageszeitung mit den Merkmalen einer Fachzeitschrift.“

Finanzierung durch Werbung ist möglich

Dieses Prinzip gelte für lokale Themen genauso wie für ökonomische Probleme und sicherheitspolitische Fragen von globaler Bedeutung. Bei der Regional- und Lokalberichterstattung, wie sie von Zeitungen gepflegt wird, könnten solche „Deep Journalism“-Angebote sogar eventuell gratis angeboten werden.

„Die finanzieren sich durch Werbeeinnahmen“, glaubt Turner, denn dafür interessierten sich viele Menschen. „Die Bündelung der Interessenten über das Angebot ist der eigentliche Kniff“, sagt er zur kaufmännischen Kalkulation.

Deep Journalism als Rezept gegen den Ultra-Wettbewerb der Medien

Die aktuelle Situation auf dem Medienmarkt bezeichnet Sebastian Turnier als „Ultra-Wettbewerb“, denn auf dem Handy und dem Computer erhielten Userinnen und User eine unüberschaubare Zahl an Angeboten. Zum Gegensteuern brauche es eine Spezialisierung. „Dann können Sie mehr Leute erreichen“, argumentiert Turner – und nennt als Beispiel die China-Briefings seines Unternehmens, für die Firmen Geld bezahlen.

Seine Erfahrung sei: „Immer wenn diese Fachpublikationen etwas herausfinden, dann kommt das über Zitate auch in die Breite.“ Das hätten die Urteile zum Verbot von Abtreibungen in den USA gezeigt. Sie standen zunächst in „Deep Journalism“-Spezialangeboten, erreichten über die klassischen Medien später aber auch die Allgemeinheit.

Sebastian Turner war CEO der Werbeagentur „Scholz & Friends“, kandidierte 2012 erfolglos für den Posten als Stuttgarter OB. 2020 gründete er das Medienunternehmen „Table Media“.

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