Zeitgeschichte

Ein Heldinnenmythos – Rosa Parks zum 110. Geburtstag

Stand
AUTOR/IN
Lydia Huckebrink

1955 löste Rosa Parks eine Revolution aus, weil sie sich weigerte, ihren Sitzplatz im Bus für einen weißen Fahrgast zu räumen. Die Geschichte ist eine der ganz großen Heldinnenerzählungen der USA. Was ist dran am Mythos?

Montgomery, Alabama 1956: Rosa Parks sitzt im Bus und schaut aus dem Fenster (Foto: IMAGO, UIG)
Stiller Protest mit Wirkung: Rosa Parks erhob sich für die Bürgerrechte, indem sie sitzen blieb.

Es ist eine der ganz großen amerikanischen Erzählungen von Freiheit und Gleichheit: Wie die Afroamerikanerin Rosa Parks sich weigerte, ihren Sitzplatz im Bus für weiße Fahrgäste zu räumen.

Wie ihre Verhaftung daraufhin die Initialzündung war für die amerikanische Bürgerrechtsbewegung, an deren Ende die politische Gleichstellung aller Amerikanerinnen und Amerikaner stand, unabhängig ihrer Hautfarbe.

Rosa Parks bleibt sitzen

Es ist der 1. Dezember 1955: Die 42-jährige Afroamerikanerin Rosa Parks steigt in den Bus – wie jeden Tag, müde und erschöpft von der Arbeit. Zusammen mit drei weiteren schwarzen Fahrgästen nimmt sie Platz auf einer Sitzbank in der Busmitte.

Als der Bus sich füllt, fordert der Busfahrer sie auf, die Plätze für einen weißen Passagier zu räumen – so verlangt es die Rassentrennung. Die anderen drei Personen kommen der Aufforderung nach. Rosa Parks weigert sich.

1955 ist die Rassentrennung Realität

Die Stadt Montgomery im US-Bundesstaat Alabama sah in den 50er Jahren für den öffentlichen Verkehr Folgendes vor: Die vorderen Sitzreihen waren für Weiße reserviert. Schwarze Fahrgäste durften in der Mitte des Busses Platz nehmen, mussten die Bank aber vollständig räumen, sobald auch nur eine weiße Person dort Platz nahm.

1956: Das Badezimmer ist nur für weiße Menschen (Foto: picture-alliance / Reportdienste, AP)
Rassentrennung in den Südstaaten: Diese Toilette dürfen 1956 nur weiße Menschen benutzen.

Als Rosa Parks sich weigert, aufzustehen, ruft der Busfahrer umgehend die Polizei. Die nimmt Rosa Parks wegen Störung der öffentlichen Ruhe fest. Vier Tage später, am 5. Dezember 1955, wird sie verurteilt: zehn Dollar Geldstrafe zuzüglich vier Dollar Gerichtskosten.

Schlüsselfiguren des Widerstands: Rosa Parks und Martin Luther King

Die Verurteilung von Rosa Parks erhitzt die Stimmung in der Stadt. Noch am selben Tag formiert sich in Montogomery der Busboykott. Die schwarze Bevölkerung, die 75% der Fahrgäste ausmacht, meidet fortan den Nahverkehr und organisierte sich stattdessen in privaten Taxi-Netzwerken. Ein ganzes Jahr hält der Boykott stand, bis der Oberste Gerichtshof der USA die Rassentrennung im Nahverkehr 1956 schließlich aufhebt.

Initiator des Boykotts ist ein damals noch unbekannter Pfarrer, der neu in der Stadt und politisch engagiert ist. Sein Name: Martin Luther King. Zusammen mit Rosa Parks wird er zur Schlüsselfigur des zivilen Widerstands in Montgomery, der eine nationale Revolution auslösen sollte.

Ehrerbietungen von höchster Stelle

Heute wird Rosa Parks in den USA wie eine Heilige verehrt. Als sie 2005 verstarb, wurde sie als allererste Amerikanerin der Geschichte im Kapitol aufgebahrt – eine außerordentliche Ehrbekundung. Seit 2013 steht sogar eine Statue von ihr im Kapitol in Washington.

Barack Obama sitzt im Rosa Parks-Bus und schaut aus dem Fenster (Foto: IMAGO, ZUMA Wire)
Sah seine Präsidentschaft als ihr Vermächtnis: Barack Obama im originalen „Rosa-Parks-Bus“

Die Amtszeit des ersten afroamerikanischen Präsidenten der USA hat sie nicht mehr erlebt. Barack Obama erklärte ihren 100. Geburtstag vor zehn Jahren zum nationalen Feiertag. Den originalen Bus, der heute im Henry Ford Museum in Detroit steht, nutzte Obama, um sich symbolträchtig darin abzulichten.

Das ideale Heldinnen-Narrativ

Rosa Parks ist die US-amerikanische Heldin des 20. Jahrhunderts schlechthin. Sie verkörpert ein Narrativ, mit dem sich auch Weiße Amerikaner*innen identifizieren können: Der Wiederherstellung des amerikanischen Traums von Freiheit und Gleichheit.

Das dunkle Kapitel der Rassentrennung: Dank ihr ist es vorüber. Denn der Mut und das Engagement einer einzelnen Person können den Lauf der Geschichte verändern, so die Erzählung. Heute können Afroamerikaner*innen alles sein – sogar Präsident.

Rosa Parks zahlte ihren Preis

Für Rosa Parks ging die Geschichte weniger rosig weiter. Für ihren Protest musste sie hoch zahlen. Sie verlor ihren Job, war viele Jahre lang arbeitslos und verließ schließlich mit ihrem Mann Montgomery, um in Detroit ein neues Leben zu beginnen. Als sie 2005 starb, war sie zwar eine Heldin, aber mittellos.

Rosa Parks und Martin Luther King ca. 1955 (Foto: IMAGO, Cinema Publishers Collection)
Die Galionsfiguren der amerikansischen Bürgerrechtsbewegung: Rosa Parks und Martin Luther King.

Dass Rosa Parks zu einem bestimmten Zeitpunkt der Geschichte eine wichtige Figur war, die großen Mut bewiesen hat, ist unumstritten. Doch täuscht die Mythenbildung der letzten Jahrzehnte über ihre tatsächliche historische Bedeutung für die amerikanische Bürgerrechtsbewegung als Ganze.

Eine inszenierte Aktion?

Denn Rosa Parks war nicht die erste Person, die sich in Montgomery gegen die Rassentrennung im öffentlichen Verkehr auflehnte. Schon vor ihr hatten sich schwarze Fahrgäste geweigert, ihre Sitzplätze für weiße Fahrgäste zu räumen und wurden dafür verhaftet.

Es gilt als wahrscheinlich, dass gerade ihr Protest derart für Aufsehen sorgte, weil er keine spontane Aktion war, sondern geplant. 1955 war Rosa Parks als ehrenamtliche Sekretärin der einflusreichen Bürgerrechtsorganisation NACCP in Montgomery politisch gut vernetzt.

Gut möglich also, dass man bewusst sie als Märtyrerin inszenierte, um eine schlagkräftige politischen Protestbewegung anzufachen. Zweifellos ist das gelungen.

Afroamerikanische Emanzipation in Literatur und Musik

Buchkritik Toluse Olorunnipa, Robert Samuels – „I can`t breathe”. George Floyds Leben in einer rassistischen Welt

Wer war eigentlich dieser George Floyd, den der weiße Polizist Derek Chauvin im Mai 2020 bei der Festnahme tötete? Und wie konnte es dazu kommen? Die beiden Washington-Post-Reporter Toluse Olorunnipa und Robert Samuels haben nicht nur die Geschehnisse vor und nach dem Mord akribisch recherchiert, sie arbeiten an Floyds Beispiel auf, wie Schwarze US-Bürger*innen bis heute diskriminiert werden.

SWR2 lesenswert Kritik SWR2

Buchkritik Ta-Nehisi Coates - The Beautiful Struggle. Der Sound der Straße

Armut, Drogenkriminalität und Gewalt in den Schwarzen-Vierteln Baltimores - Ta-Nahisi Coates hat sie in den 80er Jahren hautnah erlebt. Sein faszinierendes Buch erzählt die Geschichte einer schwarzen Emanzipation durch Bildung.
Rezension von Angela Gutzeit.
Aus dem Englischen von Bernhard Robben
Blessing Verlag, 304 Seiten, 22 Euro
ISBN 978-3-896-67704-4

SWR2 lesenswert Kritik SWR2

Literaturpreis Pulitzerpreis an Colson Whitehead für "Die Nickel Boys"

Colson Whitehead hat zum zweiten Mal den Pulitzer Preis gewonnen. Nach „Underground Railroad“ 2017 erhält er den renommierten amerikanischen Literaturpreis in diesem Jahr für seinen Roman "The Nickel Boys".

SWR2 lesenswert Magazin SWR2

Rassismus in den USA

Schwarze Musik auf der Anklagebank Young Thug vor Gericht: Warum seine Rap-Lyrics Straftaten beweisen sollen

Der Prozess um Star-Rapper Young Thug hat in den USA eine Diskussion um Kunstfreiheit und Rassismus im Justizwesen entfacht: Die Staatsanwaltschaft will die Songtexte von Young Thug als Beweismittel für Verbrechen führen. Ist die kreative Freiheit in den USA ein Privileg nur für weiße Musiker*innen?

Stand
AUTOR/IN
Lydia Huckebrink