Kommentar

Pianist Igor Levit verlässt Twitter: Er wird fehlen

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AUTOR/IN
Janis El-Bira

„Dieser Tweet stammt von einem Account, der nicht mehr existiert.“ So brutal, so eindeutig fällt seit dem 8.11. die Antwort aus, wenn man auf Twitter einen der vormals zahllosen Posts des Starpianisten Igor Levit aufrufen will.

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Diesmal scheint Igor Lewits Entscheidung, Twitter zu verlassen, endgültig

Er hat es also wirklich getan und seine Twitter-Existenz gelöscht. Nicht zum ersten Mal – Igor Levit hatte in der Vergangenheit schon mehrmals seinen Account stillgelegt – aber diesmal scheint ein Rücktritt vom Rücktritt ausgeschlossen.

Zu beängstigend schien ihm die Aussicht auf die absehbar ungebremsten Hasswellen, die mit der heuchlerischen „Free Speech“-Politik des neuen Twitter-Besitzers Elon Musk auch über ihm zusammenbrechen würden. Jetzt also die Reißleine. Das Ende. Kein Anschluss unter diesem Twitter-Handle.

Und das ist bei allem, was man gegen die Internet-Persona Igor Levit auch einwenden mochte, zunächst einmal sehr traurig. Denn, klar, Levit konnte nerven. Selbst jene, die mit ihm grundsätzlich einer Meinung waren. Seine Rechthaberei, die oft betont naiven Einlassungen zu politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen, seine Inszenierung als moralische Instanz auf Social Media – all das schien manchmal zu viel von einer eigentlich guten Sache.

Igor Levit ist als öffentliche Person und als jüdischer Künstler ganz real bedroht

ABER: Im Gegensatz zu manch anderen Twitter-Aktivist:innen kam Levits Mut eben nicht gratis. Als öffentliche Person, vor allem aber als jüdischer Künstler und erklärter Feind der Rechten war und ist Igor Levit ganz real bedroht. Es gibt – das darf man nie vergessen – Menschen, die ihm den Tod wünschen. Menschen, die die auf Twitter häufig zu lesende Aufforderung „Lösch dich!“ – und was mit ihr impliziert wird – am liebsten nicht auf die sozialen Medien begrenzen würden.

Dass Levit und andere sich aus Überzeugung dieser Gefahr ausgesetzt und mit ihrer Reichweite gleichzeitig viele Menschen für bestimmte Themen sensibilisiert haben – das hat die große Ironie- und Diskursmaschine Twitter in vielen Momenten menschlicher gemacht. 

Igor Levit wird der deutschsprachigen Twitter-Welt fehlen

Für Igor Levit selbst ist der Schritt, seinen Twitter-Account zu löschen, ein erheblicher. Er bedeutet für einen Nutzer wie ihn mit seinen hunderttausenden Follower:innen, einen Teil seiner Persönlichkeit, seines öffentlichen Wirkens und natürlich auch seiner Markenbildung abzuschneiden. Das ist, in allen Bedeutungen des Wortes, nicht billig. Aber es bedeutet auch, von einer Möglichkeit Gebrauch zu machen, die gerade jemand wie Levit im wirklichen Leben nicht hat: Eine Haut abzustreifen, unsichtbar zu werden und sich aus dem Spiel zu nehmen.

Ob es zu diesem Zeitpunkt der richtige Schritt war, haben andere nicht zu beurteilen. Tatsache ist: Igor Levit wird der deutschsprachigen Twitter-Welt fehlen. Mutig sein müssen jetzt andere.

 

Film „Igor Levit – No Fear“: Kinodoku über das rastlose Leben eines Ausnahmepianisten

Er gilt als eine der interessantesten Musikerpersönlichkeiten seiner Generation: der 35-jährige Pianist Igor Levit, der auch für seine Einmischungen ins Politische und Soziale bekannt wurde. Die Dokumentarfilmerin Regine Schilling hat ihn über zwei Jahre mit der Kamera begleitet.

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