Streaming und Gaming

Streamst du noch oder spielst du schon? Was Netflix im Gaming-Business will

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Franziska Gromann

Der Streaming-Gigant Netflix — ursprünglich hervorgegangen aus einer Online-Videothek mit Postversand — will sich nun verstärkt um den Aufbau einer Gaming-Sparte kümmern. Das kündigte der Konzern in seinem Bericht für das zweite Quartal 2021 an. Damit bestätigen sich auch erste Gerüchte, die nach der Anwerbung des früheren EA- und Oculus-Managers Mike Verdu Mitte Juli aufkamen. Was verbindet Gaming und Streaming — und welches Potential haben Videospiele für Medienunternehmen?

Netflix will sich in Zukunft verstärkt um den Ausbau seiner Gaming-Abteilung kümmern - Hände halten den Controller einer Spielekonsole vor einem TV-Bildschirm auf dem das Netflix-Logo angezeigt wird. (Foto: IMAGO, IMAGO / NurPhoto)
US-Streaming-Unternehmen Netflix will sich in Zukunft verstärkt um den Ausbau seiner Gaming-Abteilung kümmern — so wurde der Vertrag mit „Bridgerton“-Produzentin Shonda Rhimes auf einen Spielfilm und mögliche Gaming-Inhalte erweitert.

Netflix-Strategie: Konkurrieren um jede freie Minute vor dem Bildschirm

„Fortnite bedeutet für uns eine größere Konkurrenz als HBO“, erklärte Netflix-Chef Reed Hastings bereits 2019 und gab damit einen Einblick in seine Auffassung der Unternehmensstrategie: Netflix solle „Freizeit“, beziehungsweise „Entertainment-Zeit“, von anderen Aktivitäten hinzugewinnen — keine Xbox, kein Youtube, kein HBO, Netflix solle das bessere und werbefreie Erlebnis bieten.

Nach ersten Ausflügen in interaktive Serien mit „Black Mirror: Bandersnatch“ und Spinoffs mit „Carmen Sandiego“ und „Stranger Things“ will sich das Unternehmen nun vor allem auf Mobile Gaming konzentrieren — und das Gaming-Angebot ohne Zusatzkosten in die regulären Netflix-Abos integrieren, wie ebenfalls im Quartalsbericht zu lesen ist.

Drei Männer im Neunziger-Jahre-Look blicken in der Folge „Bandersnatch“ der Netflix-Serie „Black Mirror“ in einen Bildschirm: Fionn Whitehead, Will Poulter, Asim Chaudhry. (Foto: IMAGO, IMAGO / Everett Collection)
In „Black Mirror: Bandersnatch“ 2018 konnten die Zuschauer*innen jeweils Entscheidungen für den Fortgang des Geschehens treffen — es entwickelte sich ein regelrechter Wettbewerb im Internet, alle möglichen Handlungsstränge durchzuspielen und zu erleben.

Videospiele gehören zum digitalen Zeitalter

„Für mich bestätigt das eigentlich, was wir hier schon seit Jahren machen“, erklärt Gilles Freissinier, verantwortlich für die digitale Entwicklung und Webproduktion bei Arte France: „Wenn man das digitale Angebot nutzerzentriert betrachtet — wie leben und erleben Nutzer*innen das Digitale —, dann kommt man kaum an Videospielen vorbei.“

Videospiele nähmen bei den Nutzer*innen relativ viel Zeit in Anspruch und vor allem sei Gaming inzwischen weit verbreitet: „In Frankreich etwa liegt der Altersschnitt der Spieler*innen, bei Frauen und Männern, bei 40 Jahren“. Gerade die Entwicklungen im Bereich Mobile Gaming auf dem Smartphone hätten Videospiele populär gemacht, so Freissinier — „jede*r hat ein Spiel auf dem Smartphone“.

Eine Hand mit einem Smartphone spielt Candy Crush. (Foto: IMAGO, IMAGO / Fotoarena)
Candy Crush machte Spielen auf dem Smartphone bei vielen Menschen populär. Die 2012 gestartete Spiele-Reihe wurde über 2,7 Milliarden mal weltweit heruntergeladen.

Filme und Serien haben schon lange Verbindungen zum Gaming-Universum

Die Pläne von Netflix sieht er vor allem als „Diversifizierung des Angebots“ — Spinnoffs von Serien als Videospiel oder Videospiele als Filme oder Serien würden bereits seit langem produziert. Disney, Netflix-Konkurrent auf dem Streaming-Markt, ist hier seit Beginn der Videospiel-Ära vertreten. Trotzdem schließt Gilles Freissinier nicht aus, dass bald auch neue, eigenständige Spiele von Netflix produziert werden.

„Wenn man eine starke Welt entwickelt, kann diese sowohl in einer Serie funktionieren, wie auch in einem Videospiel“, findet er — damit könne man die möglicherweise teure Entwicklung einer Serie rentabler machen. In diese Richtung gehen auch die nun gestarteten Merchandise Angebote des Streaming-Dienstes Netflix.

Die Darsteller*innen der Netflix-Serie „Stranger Things“ laufen in poppigen 80er90er Jahre Outfits auf die betrachtende Person zu: von links nach rechts Noah Schnapp, Finn Wolfhard, Millie Bobby Brown, Sadie Sink, Caleb McLaughin (Foto: IMAGO, IMAGO / Everett Collection)
Die dritte Staffel des Serienhits „Stranger Things“ erhielt von Netflix bereits ein offizielles Begleitspiel. Genau wie die Serie setzt das Game auf nostalgischen Retroflair.

Leidenschaft für Videospiel-Entwicklung

Eine Strategie, die man bei Arte so nicht verfolgt: „Wir wollen innovative Kreationen anbieten, die der digitalen Nutzung angepasst sind“, sagt Gilles Freissinier. Es gehe vor allem darum, in einer Gaming-Szene, die von US-amerikanischen und asiatischen Großkonzernen dominiert werde, kleinere Studios bei der Produktion und Edition ihrer Spiele zu unterstützen und so europäische Produktionen mit prägnanten, innovativen Sichtweisen und Geschichten einem großen Publikum zur Verfügung zu stellen.

Inzwischen kann man dort auf einen Katalog von zehn Spielen verweisen, hauptsächlich am Computer spielbar — aber auch, wie das kürzlich erschienene „Unmaze“ als Mobile Game auf dem Smartphone oder wie „Vectronom“ mit Nintendo Switch. Alle sind über verschiedene große Spielplattformen wie Steam, Playstation, den Apple Store oder Google Play verfügbar.

Konkurrenz-Druck wächst

In welcher Form Netflix seine Spiele anbieten wird — als Online-Stream, zum Download, auch auf anderen Plattformen — ist noch nicht bekannt. Sicher scheint aber, dass langfristig nur eine eigene Plattform mit ausreichend exklusiven Inhalten den eingangs genannten Zielen des Unternehmens gerecht werden kann.

Google, Apple und Microsoft haben selbst bereits in eigene Game-Abo-Angebote investiert, eines der populärsten ist Apple Arcade. Während die Streaming-Konkurrenz bei Amazon Prime also das Hollywood-Studio MGM kauft, ist die nächste Investition bei Netflix möglicherweise eine Game-Produktionsfirma oder -Studio, das eigenen Content liefert.

Die Zahl der Abonnements steigt nicht wie erwartet

Netflix' Ankündigung könnte auch mit den im Quartalsbericht vorgelegten Abo-Zahlen zusammenhängen: Die Zahl der Neukund*innen des Streaming-Dienstes ist so niedrig wie nie zuvor — lediglich 1,5 Millionen konnten dazugewonnen werden, die Gesamtzahl der Abonnement*innen stieg damit auf 209 Millionen weltweit.

Netflix leidet dabei unter seinem eigenen Erfolg: Besonders in den USA sind spätestens seit dem Pandemie-Jahr 2020 vor allem die jüngeren Zielgruppen schon größtenteils abonniert. Zwar wird nun versucht, auch gezielt ältere Personen für den Service zu gewinnen, aber eine Ausweitung des Angebots auf Games könnte auch in den bisherigen Zielgruppen noch Unentschlossene überzeugen.

Gaming ist der Pandemie-Gewinner

„Videospiele haben am meisten profitiert während der Lockdown-Zeit“, bestätigt auch Gilles Freissinier: „Nicht nur Fortnite oder Animal Crossing — wir konnten mit unserem im Frühling 2020 veröffentlichten Spiel 'Homo Machina' 400.000 Downloads mehr als vorher verzeichnen.“

Ausschnitt aus dem Spiel „Homo Machina“: Ein Querschnitt eines gezeichneten Kopfes, der in der Optik des Spiels aus verschiedenen Rohren und technischen Geräten aufgebaut ist.  (Foto: Pressestelle, Homo Machina © Olivier Bonhomme )
Das Spiel „Homo Machina“ ist inspiriert von medizinischen Zeichnungen des Arztes Fritz Kahn in den 1920er Jahren. Die Spieler*innen müssen den menschlichen Körper als eine Fabrik im Steam-Punk-Look bedienen.

Die hohen Abrufzahlen hätten schon beim ersten, 2013 veröffentlichten Game „Type:Rider“ gezeigt, dass die Spiele ein ganz neues Publikum erreichen könnten, die bisher noch nicht mit Arte in Kontakt gekommen waren.

Der Erfolg muss sich langfristig zeigen

Der Start ins Gaming-Business für Netflix ist also durchaus vielversprechend — eine Verbindung von Film- und Serienangebot und Videospielen ist bereits seit vielen Jahren erprobt. Fraglich bleibt, ob es Netflix gelingen wird, langfristig überzeugenden Game-Content anzubieten und ob sich die Erweiterung des Angebots auch tatsächlich in konkretem Nutzerzuwachs niederschlagen kann.

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Franziska Gromann