Aufregung um die App

„Hört auf, Kunst zu stehlen!“: Darum steht der KI-Bildgenerator Lensa in der Kritik

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Lydia Huckebrink
Lydia Huckebrink, Autorin SWR Kultur (Foto: SWR, Foto: Lydia Huckebrink)

Bei Instagram und TikTok ist es ein viraler Hit: Die App Lensa generiert mit Hilfe künstlicher Intelligenz Porträts ihrer Nutzer*innen, die das eigene Selfie wie ein echtes Fantasy-Kunstwerk erscheinen lassen. Doch Künstler*innen schlagen Alarm. Sie fürchten wegen der neuen KI um ihre Existenz.

KI-Porträt generiert von der App Lensa (Foto: Lensa.ai/Instagram-Screenshot)
Auf dem Instagram-Kanal von Lensa.ai findet man zahlreiche KI-generierte Selfie-Avatare wie diesen hier.

Neues KI-Feature flutet die Selfie-Kanäle

Die beste Freundin im Weltraum-Anzug oder als futuristische Märchenfee: Solche fantasievollen Selfie-Avatare fluten gerade Instagram. Die App Lensa hat sie erstellt. Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz kreiert sie digitale Porträts ihrer Nutzer*innen.

Die laden dafür 10 bis 20 Selfies in die App. Heraus kommen digitale Porträts, die nach Science Fiction und Anime aussehen – originelle Werke, die auch von einem Digital Artist hätten stammen könnten.

Gar nicht gratis

Der Service ist nicht kostenlos. Userinnen bezahlen mindestens vier Dollar, um in der Testversion ein Set von 50 KI-Selfies von sich zu generieren.

Viel Geld eigentlich, wenn man bedenkt, dass die App ihre Datensätze gratis bezieht. Lensa basiert auf Stable Diffusion, einem Open Source-Bildergenerator, der für alle frei zugänglich ist.

Lensa ist der neueste Hype um einen KI-Grafikgenerator nach Dall-E. Es scheint der erste KI-Hype zu sein, der sich in der breiten Masse durchsetzt – und er versetzt die digitale Kunstwelt in Aufregung.

Alles nur geklaut?

Denn damit die künstliche Intelligenz überhaupt lernt, diese originellen Ich-Kunstwerke zu generieren, muss man sie mit einer gigantischen Datenmasse füttern. Diese Datenmasse besteht aus Milliarden von – teilweise privaten – Bildern, die sie im Netz findet: Kunstwerke, Fotos, Grafiken, Comics, Zeichnungen, Animationen.

Das Problematische an der ganzen Sache: Diese Bilder gehören der App nicht. Die Urheber*innen sind unzählige Fotografen, Künstlerinnen, Designer*innen und Zeichner. Von den Betreiberinnen der App Lensa bekommen sie keinen Cent dafür, dass die App auf Grundlage ihrer Werke ein profitables Geschäftsmodell entwickelt hat.

Schlimmer noch: Die Künstler*innen haben nicht einmal zugestimmt, dass die KI ihre Werke verwendet. Auch gibt es kaum Möglichkeiten, sich dem Gebrauch zu widersetzen.

Die Angst, dass KI die echte Kunst ersetzt

Der Hype um die KI-App Lensa heizt eine Debatte an, die schon länger schwelt. Es ist die Frage, ob Kunst austauschbar ist und ob künstliche Intelligenz die reale Künstlerin eines Tages ersetzt.

Das Onlinemagazin TechCrunch berichtet von einer früheren Version von Stable Diffusion, die es der KI sogar ermöglichte, gezielt einen eigenen, vermeintlich unverwechselbaren Stil eines bestimmten Künstlers nachzuahmen.

So konnte die KI in einem irrsinnigen Tempo endlos neue Pseudo-Kunstwerke eines Künstlers generieren. „Was ist in einem Jahr?“, zitiert TechCrunch den weltweit bekannten Digital Artist Greg Rutkowski, Schöpfer des Fantasyspiels Dungeons und Dragons, in Bezug auf die Entwicklung: „Womöglich werde ich meine Kunst nicht mehr wieder finden, weil das Internet geflutet sein wird mit KI-Kunst“.

Im Netz formiert sich der Widerstand

Welche Konsequenzen die künstliche Intelligenz für Künstler*innen tatsächlich haben könnte, ist kaum abzusehen. Die Technologie steht noch am Anfang ihrer Entwicklung.

Doch schon jetzt gehen immer mehr User*innen in die Gegenoffensive. Auf Instagram und Twitter warnen sie vor den desaströsen Folgen, welche die KI für Kunstschaffende haben könnte.

These AI aren’t harmless. They are predatory and their art will always fall short of something drawn by someone who has dedicated themselves to honing their craft. Artists are not replaceable and this new wave of automated art is really troubling. (7/9)

Künstliche Intelligenz sei nicht harmlos, sondern räuberisch, schreibt etwa die Künstlerin Jenny Yokobori auf Twitter und fügt hinzu: „Unterstützt echte Künstler!“

Was geht - was bleibt? Zeitgeist. Debatten. Kultur. Kreativität und KI: Ist Maschinenkunst auch Kunst?

Programme wie Dall-E oder Midjourney revolutionieren die Art und Weise wie Kunst hergestellt wird. Es braucht nur noch eine Eingabe, einen Prompt, der das gewünschte Bild präzise beschreibt und in Windeseile spuckt der Algorithmus passende Darstellungen aus.
Gerade hat Google ImaGen vorgestellt, das bewegte Bilder herstellt, Videos zu bauen ist also auch kein Problem mehr. Schon lange gibt es automatische Textgeneratoren wie GPT-3. Die Zukunft ganzer Berufszweige der Kreativbranche scheint bedroht zu sein.
Der Künstler Mario Klingemann arbeitet schon lange mit KI. Jetzt, wo jede*r mithilfe von Programmen wie Dall-E Kunst erzeugen kann, wird es für ihn als Künstler immer schwerer wirklich Neues zu schaffen: „Das reine Erzeugen hübscher Bilder ist mir zu einfach. Ich versuche herauszufinden, was Kunst ausmacht“, sagt er uns.
Die Literaturwissenschaftlerin Stephanie Catani von der Uni Würzburg forscht unter anderem zu Literatur und Kunst, die auf Algorithmen basiert. Sie ist der Meinung, dass eine KI erst mal noch nicht den großen Roman schreiben wird.
Einen ganzen fiktionalen Text zu schreiben, das könnten Maschinen noch nicht besonders gut. Was Catani hingegen mehr interessiere, ist die Frage: „Welches kreative Potenzial steckt in der Maschine als Tool für Künstler*innen der Gegenwart? Denn das eigentlich Kreative ist, mit diesem Programm so umzugehen, dass etwas entsteht, was weiterdenkt.“

Unsere Kollegen vom NDR haben in ihrem Podcast „Die Idee“ auch eine Folge zum Thema Künstliche Intelligenz gemacht! Norbert Grundei spricht darin mit dem KI-Experten Prof. Peter Kabel darüber, ob Künstliche Intelligenz die Bestseller von morgen schreibt oder die Charthits, die wir hören. Er sagt: Ja! Denn für bestimmte Texte ist heute schon KI verantwortlich. Hört doch mal rein bei „Die Idee“:
https://www.ardaudiothek.de/episode/die-idee-mit-norbert-grundei/36-was-kann-die-kuenstliche-intelligenz-prof-peter-kabel/n-joy/12007465/

Weblinks zum Thema:
Dall-E 2: https://openai.com/dall-e-2/
Midjourney: https://www.midjourney.com/home/
Google KI-Video Genarator: https://imagen.research.google/video/
Mario Klingemann: https://quasimondo.com/
KI-Podcast Steve Jobs im Joe Rogan-Interview: https://share.transistor.fm/s/22f16c7f
SWR Wissenschaftspodcast "Fakt ab": https://www.ardaudiothek.de/episode/fakt-ab-eine-woche-wissenschaft/sie-hat-jetzt-einen-anwalt-eine-google-ki-macht-ernst/swr2/10625093/
Was geht - was bleibt? Die Debatte um LaMDA: https://www.ardaudiothek.de/episode/was-geht-was-bleibt-zeitgeist-debatten-kultur/debatte-um-lamda-haben-algorithmen-gefuehle/swr2/10588035/

Habt ihr noch mehr Themen, die wir uns dringend anschauen sollten? Schreibt uns an kulturpodcast@swr.de

Host: Max Knieriemen
Redaktion: Max Knieriemen und Kristine Harthauer

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Computerprogramme komponieren, malen, erschaffen virtuelle Traumwelten. Und selbst die Programmierer wissen oft nicht, warum das funktioniert – oder scheitert.

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