In einer feierlichen Zeremonie mit einer Delegation aus Hawaii hat das Stuttgarter Naturkundemuseum die menschlichen Überreste von 19 indigenen Hawaiianerinnen und Hawaiianern zurückgegeben, die sich in den Sammlungen des Museums und der Universität Freiburg befanden.
Ein jahrzehntelanger Kampf
Klagegesang für die Toten: Mit einem traditionellen Gebetsritual erweist die Gruppe indigener Hawaiianerinnen und Hawaiianer den Ahnen ihren Respekt.
Im Halbkreis stehen sie um den Tisch, auf dem unter einem schwarzen Tuch die menschlichen Überreste, die Iwi Kupuna, aufgebahrt sind. Es ist ein hoch emotionaler Moment, manchmal versagt die Stimme. Denn für diesen Augenblick der Rückführung kämpfen die Vertreterinnen und Vertreter von Hui Iwi Kuamo'o zum Teil seit Jahrzehnten.

Eine Korrektur des Falschen
Für Mana Caceres zählt dabei vor allem die Tatsache, dass die sterblichen Überreste seiner Vorfahren unrechtmäßig entwendet wurden. Es gab keine Erlaubnis, keine Zustimmung, sie einfach mitzunehmen.
Die heutige Rückführungsfeier bedeute für sie, das Falsche zu korrigieren, meint Mana Caceres. Die menschlichen Überreste, Schädel, Knochen und Gebeine, die Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts nach Europa kamen, sind Ausdruck einer heute schwer vorstellbaren, unrechtmäßigen Forschungspolitik, einer sogenannten Rassenkunde, die an Universitäten, aber auch an Museen betrieben wurde.
„Wo auch Wissenschaft in Bereiche gemacht wurde, die eigentlich beweisen wollten anhand anatomischer Merkmale, dass die weiße Rasse überlegen war“, sagt Lars Krogmann, Direktor des Staatlichen Naturkundemuseums in Stuttgart.
Wichtiges Thema für Baden-Württemberg
Er muss zugeben: Über die Herkunft der menschlichen Überreste, der Human Remains, wisse man nur sehr wenig: „Wie die genau in den einzelnen Wegen zu uns gekommen sind, das ist meistens nicht klar, weil die vermutlich schon damals wussten, dass es nicht legal war. “
„Verbrechen unter dem Deckmantel der Wissenschaft“ – auch die Universität Freiburg äußerte im Rahmen der Übergabe-Zeremonie ihr Bedauern und Entsetzen. Die Universität beherbergt heute die größte Sammlung an Human Remains in Baden-Württemberg, die der Anthropologe Alexander Ecker seit 1857 kontinuierlich durch Ankäufe und Schenkungen aufgebaut hatte.
Für das Land Baden-Württemberg ist die Aufarbeitung des Kolonialismus ein ganz wichtiges Thema, betonte Wissenschaftsministerin Petra Olschowski: „Und es ist von besonderer Bedeutung, Objekte zurückzugeben. Aber es ist von noch größerer Bedeutung Human Remains zurückzugeben, weil wir einfach merken, wie grundlegend es ist für die Menschen vor Ort und die Gesellschaften und wie absolut unverzeihlich der Umgang damit gewesen ist über lange Zeit hinweg.“
Würde der Ahnen wird wiederhergestellt
Von Heilung und Versöhnung sprach denn auch Kalehua Caceres von der aus Hawaii angereisten Gruppe Hui Iwi Kuamo'o. Mit der Rückführung der Iwi Kupuna, der menschlichen Überreste, werde die Würde ihrer Ahnen wieder hergestellt. Das ermögliche es den Familien wieder ganz zu sein.
Kalehua Caceres gehört zu einer Gruppe indigener Hawaiianerinnen und Hawaiianer, die versuchen die auf allen Kontinenten verstreuten Human Remains ausfindig zu machen.

In Baden-Württemberg ging es schnell
Seit mehr als 35 Jahren bemühen sich die Ehrenamtlichen um Rückführungen, in manchen Fällen habe die Umsetzung jahrzehntelang gedauert. In Baden-Württemberg ging es dagegen schnell.
Nach einer ersten Anfrage hawaiianischer Behörden im Oktober 2021 gab es bereits im Mai 2022 grünes Licht. Das Land sieht sich hier in der Verantwortung, betonte Wissenschaftsministerin Petra Olschowski: „Tatsächlich gibt es viele Staaten und Länder, von denen Human Remains in Museen, Institutionen, Sammlungen in Baden-Württemberg sind. Und wir werden noch in diesem Jahr weitere Rückgaben haben.“
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Rund 25 Objekte sollen als Leihgabe in Stuttgart bleiben.