Man hat Russland an die Seite Chinas gedrängt
In diesem Zusammenhang sei auch die aktuelle Krise mit Moskau um die Ukraine zu sehen. US-Präsident Bush habe Russland in den 90er Jahren eine Garantie gegeben, dass sich die NATO nicht ostwärts ausbreite. Dann aber sei das Gegenteil geschehen: „Man hat Russland immer weiter zurückgedrängt und Russland an die Seite Chinas gedrängt – das ist höchst gefährlich für Europa.“ Die NATO solle sich klar machen, dass sie die Ukraine gar nicht in ihr Bündnis aufnehmen wolle – dann lasse sich mit Russland auch über Sicherheitsfragen reden.
Eine Absage für eine werteorientierte Außenpolitik
Skeptisch zeigt sich der Politik-Veteran auch gegenüber Versuchen, Staaten wie Russland oder China mit Sanktionen zur Beachtung von Menschenrechten zu bewegen. Klaus v. Dohnanyi glaubt im Fall von Peking: „Diese fast Orwell'sche Struktur eines Überwachungsstaats kann von uns weder durch Sanktionen noch durch Wirtschaftsentzug geändert werden.“ Deshalb erteilt v. Dohnanyi einer werteorientierten Außenpolitik auch eine klare Absage: „Das war noch nie erfolgreich – und das wird auch in Zukunft nicht erfolgreich sein.“ Möglich sei allenfalls, eine Wertepolitik im eigenen Land zu betreiben, etwa Flüchtlinge aufzunehmen: „Aber wir werden nicht in der Lage sein, die Systeme zu ändern.“
Das Unterdrücken nationaler Interessen sei nicht möglich
Im Gespräch wehrt sich v. Dohnanyi gegen den Verdacht, sein Plädoyer für das Betrachten – und Beachten – nationaler Interessen sei von gestern: „Ich empfehle keine Rückbesinnung – ich stelle nur fest: Frankreich hat zum Beispiel deutlich gemacht, dass es nationale Interessen hat (bei der Förderung von Atomkraft als nachhaltige Energieform).“ Dohnanyi betont, dass Staaten die Basis der Demokratie blieben und sich einzubringen haben in die gemeinsame Politik Europas. Nationale Interessen völlig zu unterdrücken sei jedoch nicht möglich.
Kein Bundesstaat in Europa
„Ich bin für mehr Realismus – und zwar überall", bilanziert Dohnanyi seinen Standpunkt und formuliert weiter: „Ich glaube nicht, dass wir in Europa einen Bundesstaat gründen können.“ Es gebe schließlich 27 verschiedene Staaten mit 24 verschiedenen Sprachen. Sein Credo: „Die nationalen Interessen bleiben ein wesentlicher Bestandteil von Politik.“
Klaus v. Dohnanyi ist Jahrgang 1928. Der studierte Jurist gehört seit 1957 der SPD an. Er war von 1972 bis 1974 Wissenschaftsminister im Kabinett von Willy Brandt, von 1976 bis 1981 war er Staatsminister im Auswärtigen Amt und danach sieben Jahre lang Bürgermeister von Hamburg.