„Er war Humanist, Staatsmann, Jurist, Europäer und ein Entdecker der hebräischen Sprache“, schwärmt Christoph Timm. Der ehemalige Denkmalpfleger ist heute der Leiter des Reuchlin-Museums in Pforzheim. In dem mehrstöckigen Anbau der Schlosskirche lassen sich die unterschiedlichen Lebensphasen des Humanisten eindrucksvoll verfolgen.

„Verbrennt nicht, was ihr nicht kennt, denn daraus könnte viel Schlimmes entstehen.“
Reuchlin setzte sich für die Rechte der Juden ein
Besonders in Erinnerung geblieben ist Reuchlins Wirken um die Rechte der Juden. Die inquisitorischen Dominikaner von Köln wollten die Schriften der Juden verbrennen lassen und sie aus Deutschland verbannen.
Reuchlin, einer der wenigen, die damals hebräisch konnten, mahnte: „Verbrennt nicht, was ihr nicht kennt, denn daraus könnte viel Schlimmes entstehen.“ Der Pforzheimer Gelehrte wies immer wieder darauf hin, dass die jüdischen Schriften die Basis des Christentums sind: „Wir Lateiner trinken Wasser aus dem Sumpf, die Griechen aus den Bächen, die Juden aber aus den Quellen.“
In einer mehrjährigen juristischen Auseinandersetzung konnte der Humanist erreichen, dass die jüdischen Bücher nicht verbrannt wurden.
Doch sein Buch „Augenspiegel“ wurde 1520 von Papst Leo X. auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt: als „ein Ärgernis erregendes, unerlaubt judenfreundliches und daher frommen Christen anstößiges Buch“.

Noch heute aktuell
Rami Suliman ist Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Pforzheim und der israelitischen Religionsgemeinschaft in Baden. 350 Mitglieder hat die jüdische Gemeinde in Pforzheim. Auch 500 Jahren nach Reuchlin ist der Antisemitismus ein drängendes Problem. „Wenn wir uns öffnen und zeigen, was Judentum bedeutet, dann können wir ein besseres Verständnis für unsere Religion schaffen“, hofft Rami Suliman. Und er fügt an: „Reuchlin hat das damals verstanden.“
„Sei tolerant. So wie du nicht möchtest, dass ein anderer über dich herfällt, solltest du auch nicht über einen anderen herfallen."
Dass Reuchlin, der sich für den Dialog der Religionen und für Toleranz eingesetzt hat, ein Sohn der Stadt ist, das passe wunderbar, meint Melike Helimergin. Schließlich habe Pforzheim die zweithöchste Migrationsrate in Deutschland. Die 27-Jährige mit türkischen Wurzeln bietet auf Türkisch Stadtführungen auf den Spuren des Humanisten an. Reuchlins Credo sei heute sehr aktuell, sagt Helimergin.
Stuttgart und Pforzheim erinnern an Reuchlin und sein Erbe
Und noch ein Haus passt wunderbar zum Erbe Reuchlins: die interreligiöse Kita Irenicus. „Wir respektieren jede Religion und geben jeder Religion die Wertschätzung, dass wir sie einzeln behandeln“, betont Clarissa Lethaus, die Leiterin der Pforzheimer Kita, deren Profil vor allem der interreligiöse Austausch ist.
Zu den Unterstützer*innen der Kita gehören die evangelische und katholische Kirche, die jüdische Gemeinde, das Bündnis unabhängiger Muslime und das yezidische Zentrum. Johannes Reuchlin hätte seine Freude daran.

Nun erinnern die Städte Stuttgart, wo Reuchlin gestorben ist, und Pforzheim an den bedeutenden Humanisten und sein Erbe. Johannes Reuchlin wäre über die zahlreichen Feierlichkeiten, Kongresse und Festgottesdienste wahrscheinlich nicht besonders überrascht. Er war sich schon zu Lebzeiten seiner Bedeutung bewusst. Auf seinen Grabstein ließ er eingravieren: „Ihr werdet euch an mich erinnern".
