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Hightech in Afrika – Geniale IT-Lösungen für Arme

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Bettina Rühl
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Ulrike Barwanietz
Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Wissen. (Foto: SWR, Christian Koch)

Afrika erlebt derzeit eine digitale Revolution, bei der sich der Kontinent von europäischem Know-how weitgehend emanzipiert. Kenia ist einer der Vorreiter: Entwicklerinnen und Entwickle des ostafrikanischen Landes kopieren nicht einfach westliche Software.

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Sie finden eigene, geniale Lösungen, die auf die Bedürfnisse der afrikanischen Bevölkerung zugeschnitten sind – Bedürfnisse, die europäische Erfinder gar nicht kennen. Oft geht es darum, Wege aus der Armut anzubieten oder den Mangel an staatlichen Leistungen und Infrastruktur kreativ zu überwinden.

Afrikas Apps sollen helfen, wichtige soziale und gesellschaftliche Probleme zu lösen. Das afrikanische Unternehmen Safaricom brachte M-Pesa 2007 auf den Markt. Seitdem hat das mobile Bezahlsystem das Leben vieler Kenianer revolutioniert. Menschen, die kein Bankkonto haben und weit weg von Städten leben, können mit ihrem Handy Geld versenden und empfangen.

Nach Angaben der kenianischen Zentralbank sind fast 40 Millionen Handy-Konten aktiv – bei einer Bevölkerung von rund 50 Millionen. Das bedeutet, dass vier Fünftel der Kenianer den Service nutzen. Mobiles Bezahlen ist in Kenia längst Standard – sei es an der Garküche im Slum, im Supermarkt oder an der Theaterkasse.

Kenia Bezahlen per Smartphone (Foto: picture-alliance / Reportdienste, EPA/DANIEL IRUNGU -)
Ein Kenianer zählt sein Geld, nachdem er mit seinem Mobiltelefon in einer M-Pesa-Filiale in Nairobi Bargeld abgehoben hat. M-Pesa ist eine mobile Geldüberweisungsplattform, die von Safaricom, dem größten Mobilfunknetzbetreiber Kenias, angeboten wird.

Fünf digitale Unterseekabel

Voraussetzung für den digitalen Entwicklungsschub war eine drastische Verbesserung der Infrastruktur: Früher kam man in Kenia nur über Satelliten ins Internet und das war entsprechend teuer – privat konnte sich das kaum jemand leisten. Inzwischen ist Kenia mit fünf digitalen Unterseekabeln versorgt, fast 18 Millionen Menschen verfügen über einen Breitbandanschluss.

Die übrigen gehen über ihr Handy ins Internet – immer mehr von ihnen über ein breitbandiges 4-G-Netz, zumindest in der Hauptstadt Nairobi. Selbst auf dem Land ist 3-G weit verbreitet. Kenias Informations- und Kommunikationsbranche trägt mittlerweile knapp zehn Prozent zum Bruttoinlandprodukt bei und schuf bis jetzt 180.000 Arbeitsplätze.

Usalama ist eine App, die Menschen in Not mit Rettungskräften oder Helfern verbindet, bei Verbrechen, sexueller Gewalt oder medizinischen Notfällen. Kommerzielle Kunden müssen monatlich Gebühren zahlen, Sicherheitsfirmen beispielsweise. Von Krankenhäusern, Rettungsdiensten und ähnlichen Nutzern verlangt Usalama 12 Prozent Kommission.

Kompensation des fehlenden Staates

Wer in Not ist, kann die App aber kostenlos benutzen. Inzwischen sind eine britische und eine kenianische Firma als Investoren eingestiegen. Erfindungen wie Usalama sollen das Fehlen staatlicher Dienstleistungen für die Bürger oder das Fehlen "analoger" Infrastruktur kompensieren.

Zugespitzt ließe sich sagen: Bei Erfindungen der industrialisierten Welt geht es meist darum, Gewinn zu maximieren. In Kenia sollen schwerwiegende, manchmal lebensentscheidende gesellschaftliche Probleme beseitigt werden. Oft geht es um möglichst einfache Lösungen für Menschen, die nur simpelste technische Geräte zur Verfügung haben.

Und meist geht es nicht um Produkte für die zahlungskräftige Mittelklasse, sondern um Kunden am unteren Rand der Gesellschaft. Ziel ist häufig, ihnen gesellschaftliche Teilhabe zu verschaffen. Die Freude, Menschen durch Erfindungen helfen zu können, spornt die meisten Entwickler in Afrika an.

Soziale Apps

In der gesättigten, gesicherten Ersten Welt dagegen hat ein Einzelner kaum noch die Möglichkeit, mit seinen Erfindungen gesellschaftliche Spuren zu hinterlassen.

Bei kenianischen Entwicklern sind Finanzprodukte das nächste große Thema. Eine App, die Kamal Battacharya mit seinem Team für Safaricom entwickelt hat, ist derzeit in der Erprobungsphase. Im Kern geht es um "Fundraising" im privaten Rahmen.

Dank der neuen App können Privatpersonen untereinander und mit Krankenhäusern, Versicherungen, Schulen und anderen Institutionen zusammen Gruppen bilden, können innerhalb dieser Gruppen kommunizieren und Geld verschicken.

Afrikanische Kickstarter für mehr Gerechtigkeit

Das Geld, das eine Gruppe beispielsweise für die Schulgebühr eines armen Kindes gesammelt hat, könnte direkt an die entsprechende Schule gehen. Die Zweckentfremdung des gesammelten Geldes – sprich Veruntreuung – wird dadurch schwieriger.

Und auch in Deutschland nimmt die soziale Ungleichheit zu, werden die Maschen der sozialen Netze weiter. Vielleicht ist es also bald an der Zeit, dass wir von Afrika lernen und digitale Lösungen übernehmen, die dort entwickelt wurden.

Wirtschaft Digitale Geldgeschäfte – Afrikas FinTechs sind global erfolgreich

In Afrika zahlen Menschen per Smartphone-App. Auch Geldtransfers und Kleinkredite werden digital erledigt. Fachleute sagen der afrikanischen FinTech-Branche einen Boom voraus.

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Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Wissen. (Foto: SWR, Christian Koch)