Zeitgenossen

Gisela Stuart: „Die Queen traf als einzige in Großbritannien während der Corona-Pandemie den richtigen Ton“.

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INTERVIEW
Gabi Biesinger

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Die britische Politikerin Gisela Stuart sitzt seit 2020 als Baroness Stuart of Edgbaston im Britischen Oberhaus und ist damit die erste deutschstämmige Lady im House of Lords. Sie war zuvor 20 Jahre lang Abgeordnete der Labour-Party im Unterhaus und ist Mitglied im „Privy Council“, dem Kronrat und Beratungsgremium für die Queen. Mit Königin Elizabeth II, die gerade ihr 70. Thronjubiläum gefeiert hat, verbindet Gisela Stuart vor allem Kontinuität und Vorbildcharakter:

„Was ich faszinierend fand während Covid, dass weder die Kirche, noch der Premierminister, noch irgendjemand anderer, den Ton so perfekt getroffen hat, wie man mit der Nation sprechen muss, wie die Königin. Als ehemalige Politikerin habe ich mir das angeguckt und gesagt: „Sie ist ein Profi“.“

Kandidatin für die Arbeiterpartei – Die Mutter war nicht begeistert.

Mit 19 Jahren kam die in Bayern geborene Gisela Gschaider zum Englisch lernen auf die britische Insel, studierte, heiratete und zog 1997 beim Erdrutschsieg von Premierminister Tony Blair als eine von 101 weiblichen Labour-Abgeordneten ins Parlament ein. Sie wurde zur Parlamentarischen Staatssekretärin im Gesundheitsministerium berufen und von Blair ins Präsidium des Europäischen Verfassungskonvents entsandt, der 2002/2003 einen Verfassungsentwurf für die Europäische Union ausarbeitete.

„Ich habe oft zu Engländern gesagt: Sie müssen das verstehen: Für jemand aus Niederbayern bin ich politisch unglaublich links. Eine Woche vor dem Wahltag, am 1. Mai 1997, telefonierte ich mit meiner Mutter und meine Mutter sagte plötzlich: Ach, das tut mir leid, dass die Umfragen für deine Partei so schlimm aussehen. Ich sagte: Die sehen nicht schlimm aus. Und sie fragte: Für welche Partei kandidierst du denn? Für Labour. Die Arbeiterpartei???? Aber sie hat mir das dann verziehen.“  

Die EU als Kompromiss-Gebilde hat nicht funktioniert.

Vor dem Brexit-Referendum 2016 positionierte Gisela Stuart sich als eine von Wenigen in der Labour-Party als EU-Skeptikerin und kämpfte an der Seite des aktuellen Premierministers Boris Johnson für den Austritt Großbritanniens aus der EU. Aus ihrer Sicht ist die EU zu sehr aus Kompromissen entstanden, als dass sie wirklich sinnvoll funktionieren könnte. Bei den Unterhauswahlen 2017 trat Stuart nicht mehr an. Sie sitzt heute als partei-unabhängige „Cross-Bencherin“ im Oberhaus und ist als First Civil Service Commissioner für die oberste Beamtenaufsicht zuständig.

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