Engelsskulptur bewacht ein Grab auf dem Mainzer Hauptfriedhof (Foto: IMAGO, Rau)

Friedhöfe im Wandel der Zeit

Historische Friedhöfe: Als Père Lachaise in Mainz sein Vorbild fand

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AUTOR/IN
Dominic Konrad

Über die Jahrhunderte hat sich der Umgang mit Friedhöfen gewandelt und reflektiert damit die Entwicklungen der Gesellschaft. Um der überfüllten Massengräber Herr zu werden, sucht Paris um das Jahr 1800 nach neuen Lösungen. Der Mainzer Hauptfriedhof wird dabei zum Vorbild für den Père Lachaise – einen der berühmtesten Friedhöfe der Welt.

Infernalischer Gestank: Auf dem Friedhof stapeln sich die Leichen

Auf den ersten Seiten seines Romans „Das Parfüm“ beschreibt Autor Patrick Süskind eindrücklich das sensorische Erlebnis auf dem größten Pariser Stadtfriedhof, dem Cimetière des Innocents. Es sei ein Ort des besonders infernalischen Gestanks:

„Achthundert Jahre lang hatte man hierher die Toten des Krankenhauses Hôtel-Dieu und der umliegenden Pfarrgemeinden verbracht, achthundert Jahre lang Tag für Tag die Kadaver zu Dutzenden herbeigekarrt und in lange Gräben geschüttet, achthundert Jahre lang in den Grüften und Beinhäusern Knöchelchen auf Knöchelchen geschichtet.“

Was Süskind beschreibt, darf durchaus für bare Münze genommen werden. Ende des 18. Jahrhunderts quillt der Cimetère des Innocents im wahrsten Sinne des Wortes über.

Durch Hunger und Seuchen sterben mehr Menschen, als die innerstädtischen Friedhöfe aufnehmen können. Die Leichen stapeln sich, bei starkem Regen kommt es sogar zu Durchbrüchen in die Keller der umliegenden Häuser und austretende Leichengifte verseuchen das Grundwasser.

Grabmal der Musikverleger-Familie Schott auf dem Mainzer Hauptfriedhof (Foto: IMAGO, Sämmer)
Die Muse der Liebesdichtung, Erato, ziert das imposanteste Grabmal der Musikverleger-Familie Schott auf dem Mainzer Hauptfriedhof.

Der Hauptfriedhof in Mainz wird zum Prototyp für Frankreichs neue Friedhofskultur

Als die Kirche nach der Französischen Revolution an Bedeutung verliert, nimmt man sich in Paris der Leichenproblematik an. Die innerstädtischen Friedhöfe werden aus hygienischen Gründen geschlossen und neue, weitläufige Begräbnisflächen vor den Toren der Stadt angelegt.

Gerade Mainz, zu Beginn des 19. Jahrhunderts Verwaltungssitz des französischen Départements Mont-Tonnère (Donnersberg), spielt in der Planung dieses neuen Friedhofstyps eine Vorreiterrolle. 1803 wird mit dem neuen Hauptfriedhof einer der ersten Parkfriedhöfe eröffnet.

Mainz wird auch zum direkten Vorbild für den ein Jahr später angelegten neuen Pariser Friedhof Père Lachaise, bis heute einer der meistbesuchten Friedhöfe der Welt.

Das Grab von Jim Morrison auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise (Foto: IMAGO, imagebroker)
Zigaretten, Blumen und kleine Botschaften. Noch heute ist das Grab von Jim Morrison eine Wallfahrtsstätte für Fans.

Umgebettete Dichter machen den Friedhof zur touristischen Attraktion

Um der Pariser Bevölkerung die neuen Friedhöfe vor den Toren der Stadt schmackhaft zu machen, lässt die Pariser Regierung die Leichen der Dichter Molière und Jean de la Fontaine exhumieren und widmet ihnen neue Grabstätten auf dem Friedhof Père Lachaise.

Ein großer Erfolg: Die Pariser kommen nun nicht nur zum Totengedenken, sondern auch, um die Gräber der berühmten Dichter zu besichtigen. Der neue Friedhof wird zur Wallfahrtstätte der Bildungsbürger. Über die Jahrhunderte finden immer mehr Berühmtheiten auf dem Hügel im 20. Arrondissement ihre letzte Ruhe.

Bis heute pilgern jährlich mehrere Millionen Menschen zum Père Lachaise, um an den Gräbern von Édith Piaf, Maria Callas, Gioachino Rossini, Marcel Proust, Oscar Wilde oder „The Doors“-Frontman Jim Morrison zu stehen. Père Lachaise ist heute nicht nur Friedhof, sondern Freilichtmuseum.

Bemerkenswerte Friedhöfe im Südwesten:

Verwittertes Grabmal auf dem denkmalgeschützten Alten Friedhof in Freiburg.  (Foto: IMAGO, Winfried Rothermel)
Der Alte Friedhof in Freiburg ist heute Kultur- und Naturdenkmal. In der parkähnlichen Anlage zeugen die Grabmäler vom Totenkult des 17., 18. und 19. Jahrhunderts. Bild in Detailansicht öffnen
Feierhalle auf dem Stuttgarter Pragfriedhof (Foto: IMAGO, Panthermedia)
Unterhalb des Stuttgarter Pragsattels befindet sich der Pragfriedhof mit seiner beeindruckenden Feierhalle. Das Jugendstil-Krematorium wurde zwischen 1905 und 1907 nach Plänen des Architekten Wilhelm Schloter errichtet. Bild in Detailansicht öffnen
Der älteste jüdische Friedhof Europas ist der Heilige Sand in Worms. (Foto: IMAGO, imagebroker)
Der älteste jüdische Friedhof Europas ist der Heilige Sand in Worms. Gemäß jüdischer Tradition bleiben alte Grabstellen bestehen, der älteste Grabstein wird auf Mitte des 11. Jahrhunderts datiert. Bild in Detailansicht öffnen
Grab des ersten Reichspräsidenten der Weimarer Republik, Friedrich Ebert (Foto: IMAGO, Werner Otto)
Über eine Seilbahn erreicht man den Heidelberger Bergfriedhof, der 1844 als erster Friedhof der Stadt unter kommunaler Leitung eröffnet wurde. Die Grabstätten liegen an verschlungenen Wegen auf den Geländeterrassen im Hang. Hier ruht unter anderem der erste Reichspräsident der Weimarer Republik, Friedrich Ebert. Bild in Detailansicht öffnen
Modernes Grabmal von Architekt Georg Kieferle auf dem Waldfriedhof Stuttgart (Foto: IMAGO, Arnulf Hettrich)
Flächenmäßig der größte Friedhof Stuttgarts ist der Waldfriedhof im Stadtbezirk Degerloch. Bekannte Persönlichkeiten fanden hier ihre letzte Ruhe, unter ihnen Bundespräsident Theodor Heuss und die Unternehmer Bauknecht und Bosch. Im Bild das beeindruckende Grab des 2021 verstorbenen Architekten Georg Kieferle. Bild in Detailansicht öffnen
Das Beinhaus der Michaelskapelle auf dem Gelände der Oppenheimer Katharinenkirche (Foto: IMAGO, Christian Ditsch)
Die Michaelskapelle an der Oppenheimer Katharinenkirche beherbergt das größte Beinhaus seiner Art in Deutschland. Zwischen 1400 und 1750 wurden hier über 20.000 Gebeine Verstorbener zusammengetragen. Ein vergoldeter echter Menschenschädel verblieb als Relikt eines Filmdrehs. Bild in Detailansicht öffnen
Lebensgarten auf dem Hauptfriedhof Karlsruhe  (Foto: IMAGO, epd)
Auf dem Hauptfriedhof Karlsruhe gibt es ein Landschaftsgräberfeld mit Bäumen, Stauden und einem Bachlauf, einen Lebensgarten mit einem symbolischen Trauerweg sowie Baumbestattungen. Bild in Detailansicht öffnen
Aussegnungshalle auf dem Pforzheimer Hauptfriedhof (Foto: IMAGO, imagebroker)
An die Aussegnungshalle auf dem Pforzheimer Hauptfriedhof gliedert sich ein Bogengang nach dem Vorbild des in Italien geläufigeren „Camposanto“, zu deutsch „Gottesacker“, an. Bild in Detailansicht öffnen

Der Friedhof bietet auch Tieren einen wertvollen Schutzraum in Ballungsräumen:

Wie kann der Friedhof der Zukunft aussehen?

Auch auf dem berühmtesten Friedhof Frankreichs sind heute Verbrennungen eine der gefragtesten Bestattungsmethoden.

Noch nie waren Menschen so wenig ortsgebunden wie heute. Grabpflege ist daher für viele Hinterbliebene ein Problem. Die Nachfrage nach Urnengräbern und Friedwäldern steigt enorm. Doch ausgedient hat der klassische Friedhof deshalb noch lange nicht. Seine Aufgabe wird sich nur, wie in den letzten Jahrhunderten, neu definieren müssen.

Gedankenexperimente zum Friedhof der Zukunft bietet das Projekt „Friedhof 2.0“ in Kaiserslautern:

SWR2 Wissen: Aula Ein Ende ohne Gott - Sterben und Tod in der modernen Gesellschaft

Zu allen Zeiten und in allen Kulturen findet sich der Wunsch, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen. Und wie geht der moderne Mensch mit Tod und Sterben um? (SWR 2020)

SWR2 Wissen: Aula SWR2

Schwäbische Alb

Leben Im Totenwald – Wenn der Förster auch Bestatter ist

Ein Grab unter Bäumen ist für viele eine Alternative zum Friedhof. Martin Schuh ist Förster in einem Friedwald auf der Schwäbischen Alb. Von Christine Frischke (SWR 2022)

SWR2 Leben SWR2

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