Erdogans Wandel in Richtung europäischer Positionen ist reine Taktik
Kristian Brakel hat Islamwissenschaft studiert und war Berater des EU-Sonderbeauftragten für den Nahen Osten. Er leitet die Niederlassung der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul.
„Nicht klug“ nennt der Türkei-Experte den Besuch von EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und Ratspräsident Michel bei Staatspräsident Erdogan.
Brakel meint im Gespräch mit SWR2 zum ersten direkten Kontakt zwischen der EU und der türkischen Staatsspitze seit einem Jahr: „Was sie verspricht, wird sie nicht einhalten können“.
Brakel gibt zu bedenken, die jüngste Wendung von Erdogan in Richtung europäischer Positionen seien nur taktisch begründet: „Dieses Entgegenkommen richtet sich vor allem auf die türkische Außenpolitik“.
Innenpolitisch bleibt die Situation in der Türkei unverändert
Im Streit um die Erdgas-Vorkommen in der Ägäis habe sich die Türkei tatsächlich zurückgenommen, doch innenpolitisch sei die Lage unverändert. Brakel wörtlich: „Da tut sich überhaupt nichts“.
Auch beim Flüchtlings-Deal mit der EU funktioniere nicht jede Abmachung. Das Land nehme zwar weiter Migranten auf und verhindere deren Weiterreise nach Europa. Die Umsiedlung von Flüchtlingen bezeichnet Brakel dagegen als „unzureichend“.
Insgesamt sehe man, Erdogan reagiere sehr gut auf Druck. Deshalb müsse Europa diese Strategie weiter verfolgen. Denn innenpolitisch sei für weitere Zugeständnisse der EU an die Türkei zu wenig passiert.
Brakel führt als Beispiel an: „Es gibt Ansätze für eine Justizreform, aber das meiste ist nur Augenwischerei“. Bisher sei die Bilanz: Erdogan arbeite weiter daran, das Land autoritärer zu machen.