Besonders im Krieg wählt die Politik ihre Worte mit Bedacht. Der Tübinger Rhetorikprofessor Dietmar Till nennt Olaf Scholz einen „Energiespar-Kanzler“: Er kommuniziere „im reduzierten Schlafmodus“.
Mit seiner Rede von der „Zeitenwende“ aber habe er bewiesen, dass er auch leidenschaftliche Reden halten könne. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wiederum lebe mit seiner Rhetorik einen Durchhaltewillen vor.
Und die russische Rede von der „militärischen Spezialoperation“ entspreche der typischen Sprachregelung in totalitären Staaten. Wie lange diese Rhetorik noch verfängt? „Wenn es eine Pluralität der Meinungen gibt, kann sowas kippen“, so Till.
27.2.2022 Olaf Scholz verkündet "Zeitenwende"
27.2.2022 | Drei Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine spricht Olaf Scholz in einer Regierungserklärung erstmals von einer Zeitenwende. Ein Wort, an dem er später noch oft gemessen werden soll. Scholz kündigt Waffenlieferungen an die Ukraine an, ein 100 Milliarden-Programm für die Bundeswehr und ein Umdenken in der Energiepolitik. Das Wort "Zeitenwende" fällt in der Rede insgesamt 5 Mal.
Diskussion Der Krisen-Kanzler – Ein Jahr Regierung Scholz
Die Wahl des Sozialdemokraten Olaf Scholz zum neuen Bundeskanzler war die politische Überraschung des vergangenen Jahres. Die Zusammenarbeit seiner Partei mit FDP und Grünen gestaltet sich weniger überraschend als durchaus gewöhnungsbedürftig. Auf manche wirkt der hanseatische Regierungschef schüchtern, auf andere arrogant. Aber viele finden seinen zurückhaltenden Stil in Zeiten multipler Krisen mit Krieg, Pandemie und wirtschaftlichen Verwerfungen genau richtig. Claus Heinrich diskutiert mit Lars Haider - Chefredakteur Hamburger Abendblatt, Tina Hildebrandt - Leiterin Politikredaktion Die ZEIT, Berlin, Prof. Dr. Wolfgang Schroeder - Politikwissenschaftler, Uni Kassel
Wort der Woche Zeitenwende - erklärt von Bernhard Pörksen
Seit Ende Februar ist angesichts der aktuellen Kriegssituation in der Ukraine und der Drohungsszenarien Wladimir Putins von einer „Zeitenwende“ die Rede. Eingeführt hat den Begriff Bundeskanzler Olaf Scholz auf Twitter und in seiner Bundestagsrede am 27. Februar. Deutschland hat seine Position, bei Kriegsgeschehen keine Militärhilfe zu leisten, erstmals seit 1945 gebrochen. Und die Europäischen Länder stehen mit ihren schwer geschnürten Sanktionspaketen gegenüber Wladimir Putin geschlossen ein für den Frieden und zeigen eine starke Solidarität mit der Ukraine. Der Krieg dort hat Europa verändert. Nun hat es seit dem Zweiten Weltkrieg etliche brutale politische Auseinandersetzungen und Kriegssituationen in Europa gegeben - und auch andere einschneidende Entwicklungen - etwa 9/11 oder der dramatisch verlaufende Klimawandel - werfen die Frage nach einer „Zeitenwende“ auf. Prof. Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler an der Universität Tübingen, erklärt seine persönliche Einschätzung des Begriffs in der aktuellen europäischen Kriegssituation und darüber hinaus.