Mit ihrem neuen Essay geht die Verfassungsrechtlerin Sophie Schönberger auf die Krise ein, in der viele demokratische Staaten zurzeit stecken. „Zumutung Demokratie“ heißt das Buch, das in einer Zeit erscheint, in der viele Bürger ihre Staatsform als genau das empfinden. „Demokratie verlangt von uns, jeden erstmal als gleich zu ertragen“, betont Schönberger in SWR2.
Individualisierung und Demokratiemüdigkeit
Dabei spielt ausgerechnet der größere Freiraum, den heutige Gesellschaften ihren Bürgern einräumen, eine große Rolle bei der Demokratiemüdigkeit, sagt Schönberger: „Wir leben ja in einer Zeit, in der die Individualisierung immer stärker zugenommen hat, was lange Zeit erstmals als ein großes Versprechen galt, weil man sich eben nicht mehr so sehr einordnen muss, nicht mehr so vielen sozialen Zwängen unterliegt.“
Schattenseite des Individualismus
Aber die Kehrseite dessen sei natürlich auch, dass man sich so sehr daran gewöhnt habe, in erster Linie für sich selbst zu sorgen und sich um sich selbst und die eigenen Bedürfnisse und die eigene Selbstverwirklichung zu kümmern, dass alles, was dem nicht entspricht, sondern erfordert, sich mit anderen zu arrangieren, dann zunehmend einfach als unzumutbar erlebt wird.
„Wahrnehmen, dass der andere überhaupt da ist“
Als Heilmittel für diese Krise der Demokratie schlägt Schönberger die Begegnung der Bürger vor – um wieder zu lernen, sich gegenseitig auszuhalten: „Das kann ganz unterschiedliche Facetten haben. Nicht nur im Sinne einer demokratischen Bildung oder einer Schulbildung, sondern wirklich auf einer ganz basalen Ebene bei den alltäglichen Begegnungen. Das könnten auch die Bibliotheken sein, wo wir ja zunehmend eine Entwicklung haben, dass die als Begegnungsräume gestaltet werden. Weil die Demokratie Orte braucht, an denen Menschen sich begegnen können und dann niedrigschwellig und vielleicht auch erst mal ohne zu diskutieren aufeinander treffen. Einfach nur, um wahrzunehmen, dass der andere überhaupt da ist.“
Herausgeforderte Demokratie
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Wenn in Deutschland über Extremismus diskutiert wurde, meinte man lange die Ränder auf der linken und rechten Seite. Das aber habe sich geändert, sagt Autor Wolfgang Kraushaar: „Die Gefährdung der Demokratie geht in erster Linie nicht mehr von den Rändern der Gesellschaft aus, sondern von ihrer Mitte“, heißt es in seinem neuen Buch mit dem Titel „Keine falsche Toleranz!“
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Nach den Verhaftungen in der Reichsbürgerszene fragen wir nach, was in unserer Gesellschaft besser laufen kann. Braucht es als sozialen „Kitt“ ein Pflichtjahr, in dem sich jeder und jede für unsere Gesellschaft und Demokratie engagieren muss
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SWR2 lesenswert Kritik Carolin Amlinger, Oliver Nachtwey: Gekränkte Freiheit
Querdenker und Reichsbürger zweifeln wissenschaftliche Erkenntnisse ebenso an wie staatliche Autorität. Überhaupt reklamieren immer mehr Menschen für sich jedwede Freiheit. Solidarität mit Schwächeren bleibt dabei oft auf der Strecke. In ihrem Buch "Gekränkte Freiheit" spüren die Soziologen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey den Ursachen nach.
Suhrkamp Verlag, 471 Seiten, 28 Euro
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