In Ego-Shotern kommen meist nur Soldaten vor
War Games wie "Battlefield", "Medal of Honor", die "Tom Clancy"-Reihe oder "Call of Duty" sind sogenannte Ego Shooter, bei denen Spieler die Handlung durch die Augen der Figur wahrnehmen, die sie steuern. Entwickler kooperieren sogar mit dem Militär, um selbst modernste Waffensysteme wirklichkeitsgetreu abzubilden. Doch meist gibt es in den Szenarien nur Soldaten – gute und böse, die gegeneinander kämpfen.
In realen Konflikten gibt es nicht nur Soldaten
Realistisch ist das nicht: Im Ersten Weltkrieg kamen auf ein ziviles Opfer acht getötete Soldaten. Das Verhältnis hat sich heute umgekehrt: auf einen toten Soldaten kommen acht getötete Zivilisten. Das hat die britische Konfliktforscherin Mary Kaldor errechnet. In den aktuellen Kriegen werden Mädchen und Frauen immer wieder vor den Augen ihrer Angehörigen vergewaltigt, um Familien und Dorfgemeinschaften zu brechen: Vergewaltigung als Kriegswaffe. Zivilisten werden vertrieben und ihre Häuser geplündert oder in Brand gesteckt – die räumliche Trennung zwischen Schlachtfeld und Hinterland gibt es längst nicht mehr.
Oft werden Zivilisten auch zum Kämpfen gezwungen: In den Kriegen Kambodschas und Sierra Leones z.B. haben Bandenmitglieder immer wieder Kinder entführt, sie unter Drogen gesetzt und gezwungen zu kämpfen und zu töten - Kindersoldaten. Die Grenzen zwischen zwischen Unschuldigen und Kämpfern verschwimmen.
Kriegsspiele kennen meist nur Krieger
In Kriegsspielen sei das anders, meint Stefan Schwingeler, Professor für Game Design an der "media Akademie - Hochschule Stuttgart". In den meisten Spielen werden keinerlei Zivilisten gezeigt. In manchen Spielen wie zum Beispiel "Call of Duty" gibt es aber Zivilisten. Wer sie tötet, muss an dem Punkt erneut ansetzen, wo das Spiel zuletzt gespeichert wurde. Das bedeutet die Spieler müssen erkennen, wer unschuldig ist und wer ein echter Gegner.
Im Taktik-Shooter "America’s Army" dagegen verschwinden die Leichen der getöteten Soldaten einfach. Vom US-Militär finanziert und ursprünglich als Trainingssimulation für Soldaten geplant, ist das Spiel heute kostenfrei online zugänglich – es soll Rekruten für die US-Armee gewinnen. Die Produzenten verweisen auf den Realismus der Grafiken, doch in dem Spiel gibt es keinerlei Spuren von Blut. Dieses saubere Bild vom Krieg ist ganz im Sinne des US-Militärs.
Zwischen Hollywood und Pentagon
In den Vereinigten Staaten greifen die Sphären von Militär, Medien und Unterhaltungsindustrie ineinander: Reality-TV-Formate von der Front in Afghanistan, Militär-Vergnügungsparks und patriotische Kriegsfilme sind nur einige Beispiele. Tatsächlich kooperiert das Pentagon schon lange mit Hollywood: zum Beispiel bei Filmen wie "Armageddon", "Top Gun" oder "Pearl Harbor". Das Pentagon berät und stellt militärisches Gerät, dafür darf es beim Drehbuch mitreden. Auch die Verbindungen zwischen Militär und der Computerspiele-Industrie reichen lange zurück. Schon in den 90er-Jahren ließ das US-Militär kommerzielle Shooter zu Simulationen umgestalten, um Soldaten zu trainieren.
Neue Kriegsspiele differenzieren
Doch es gibt auch Spiele, die den Krieg kritisch hinterfragen. Und Spieler, die nach solchen Spielen suchen.
Beispielsweise das Spiel "Spec Ops: The Line" des Entwicklerstudios Yager aus dem Jahr 2012. Spec Ops steht für Special Operations – Spezialeinheiten der US-Armee. Der Spieler steuert den Elite-Soldaten Walker, er schaut ihm – wie üblich in einem Third-Person-Shooter – aus geringer Distanz über die Schulter. Walker wird für eine Aufklärungsmission nach Dubai geschickt, zusammen mit zwei Kameraden. Die Stadt ist von Sandstürmen zerstört, Aufständische haben offenbar die Macht übernommen.
Doch die klare Trennung von Gut und Böse verschwimmt schnell. Die CIA scheint in die Kämpfe verwickelt, ihre Agenten töten offenbar gezielt Zivilisten und entführen amerikanische Soldaten. Walker macht sich mit seinem Team, gegen ihre ursprünglichen Befehle, auf die Suche nach den Entführten.
Zivilisten als Akteure
Walker ist fanatisch in seinem Drang, sich als Held zu beweisen. Seine Kameraden dagegen reflektieren immer wieder ihre moralische Zerrissenheit und hinterfragen ihr eigenes Handeln. So auch als Walker Phosphorgranaten einsetzen will. Die drei wagen sich schließlich auf den zerstörten Stützpunkt, überall Qualm, verbrannte Körper, sich windende verstümmelte Schwerverletzte, um Hilfe flehend. Und dann die furchtbare Erkenntnis: sie haben 47 unschuldige Zivilisten getötet, die eigentlich in Sicherheit waren. Walker bleibt entsetzt vor den verbrannten Überresten einer Frau stehen, die im Sterben noch ihr Kind umklammerte. Dieses Bild wird ihn verfolgen.
Der Krieg im Spiel "This War of Mine" ist bewusst vage gehalten. Denn die darin enthaltenen Erlebnisse könnten jedem passieren – meinen die Entwickler der polnischen Entwicklerfirma 11 bit studios. Der Spieler steuert eine Gruppe von Zivilisten, die um ihr Leben kämpfen, in einer düster-grau gezeichneten Kriegsszenerie. Die Zivilisten werden selbst zu Akteuren und müssen sich moralischen Entscheidungen stellen. Die Folgen eigener Handlungen sind für die Spieler oft nicht sofort abschätzbar. Das 11bit Studio in Warschau investierte fast sein ganzes Kapital in das Spiel. Doch es zahlte sich aus: Schon nach 48 Stunden hatten die Entwickler die Produktionskosten wieder drin. Und das obwohl sie selbst von ihrem Spiel sagen, dass es nicht unbedingt Spaß mache. Vielmehr gehe es um Spannung, Einfühlung und eine Art Katharsis.
Die Gaming Industrie verändert sich. Die Hardware und Software für die Entwicklung kostet immer weniger und so werden immer mehr Spiele veröffentlicht, sagt Pawel Miechowski von 11bit Studios. Er glaubt, die Industrie werde erwachsen. Game Design-Professor Stefan Schwingeler meint, dass die neuen Ideen auch den Mainstream beeinflussen werden. Damit könnten Geschichten über den Krieg in den Computergames realistischer erzählt werden.
SWR 2018