Manchmal reicht eine einzige Situation, damit ein Mensch verbittert: Der Partner geht fremd, die Arbeitskollegin wird ungerecht bevorzugt. Doch nicht jedes negative Ereignis führt auch zur Verbitterung, erklärt der Philosoph Dr. Jürgen Große: "Unglück kann einen treffen, hat immer einen passiven Aspekt – und Verbitterung dagegen setzt aktive Mitwirkung voraus." Bei einem Unglück gebe es viele Auswege, wie man mit der Situation umgehen könnte. "Die Verbitterung ist schon eine seelische Verarbeitung des Unglücks."
Die eigene Verbitterung kann dem Menschen auch Orientierung und Lebenssinn geben: Verbitterte können sich als arme Opfer von Ungerechtigkeiten, Betrug, Dummheit und Bosheit begreifen und sich permanent darüber beklagen.
Verbitterten geht es um den eigenen Stolz
Ob nun offen aggressiv, geschwätzig oder schweigsam – der Verbitterte neigt dazu, jedes Erlebnis mit seinen Mitmenschen, jeden Gedanken, dem ihm begegnet, zur Bestätigung seiner Verbitterung zu nutzen. So macht er sich immun gegen Einwände. Seine Wahrnehmung ist selektiv: Es ist deshalb auch so schwer, an ihn und seinen Groll heranzukommen. Er verschließt sich gegen Einwände, gute Ratschläge, Tröstungsversuche. Große: "Es geht bei Verbitterten auch um den eigenen Stolz."
Verbitterung ist eine komplexe Emotion, sagt Prof. Dr. Michael Linden, Professor für Psychiatrie und Psychotherapie in Berlin. "Sie ist nicht nur mit Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Niedergeschlagenheit verknüpft, sondern auch mit Aggression und Rachephantasien." Zum Teil richtet sich der Groll und Zorn auch gegen sich selbst. "Wie konnte ich nur so blöd sein, mich immer treu für die Firma einzusetzen? Wie konnte ich nur so blöd sein, meiner Frau zu vertrauen? Diese Selbstbeschuldigung gehört auch mit dazu."
Behandlung von Verbitterten schwieriger als bei Depressionen
Für Michael Linden ist eine schwere Verbitterung ein krankhafter emotionaler Zustand. "Es ist eine sehr starke Emotion, die die Menschen wirklich ganz gefangen nimmt. Sie sind wirklich nicht mehr Herr ihrer Sinne, sie haben keine Freiheitsgrade mehr. Sie schränkt die Patienten deutlich mehr ein als Depression oder Angst." Inzwischen hat diese Störung einen Namen: Posttraumatische Verbitterungsstörung.
Die therapeutische Behandlung von Verbitterung ist jedoch schwierig, laut Linden sogar schwieriger als bei Depressionen oder Angsterkrankungen. "Bei der Verbitterung gehört eben dieser Fatalismus dazu, diese Negierung von Hilfe, diese Bissigkeit gegenüber der Welt und gelegentlich auch Therapeutenbissigkeit..." Alle, die helfen wollen, werden zu Gegnern, die verdächtigt werden, die Verletzung klein reden zu wollen.
Perspektivwechsel holt Betroffene aus der Isolation
In der Therapie gehe es dann um die Entwicklung von sogenannten wichtigen Kompetenzen: Perspektivwechsel, Nachhaltigkeitsorientierung und Wertrelativismus. Das setzt voraus, dass es gelingt, den Verbitterten aus seiner Selbstbezogenheit und Isolation zu holen – indem es ihm gelingt, sich von seinen Verletzungen zu distanzieren und Souveränität zurückzugewinnen. So kann es gelingen, die Selbstfixierung aufzugeben und die Perspektive einer anderer Person einzunehmen: So können sie verstehen, weshalb andere sie kränkten, betrogen oder sie unfair behandelten.