Zeitwort

30.8.1921: Lotte Cohn wandert nach Palästina aus

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AUTOR/IN
Jochen Stöckmann

„Lotte Cohn war eine der ersten Architektinnen in Deutschland. Als frühe Zionistin suchte sie bereits 1921 eine neue Heimat im Nahen Osten und wurde zur „Baumeisterin Israels“. Sie lehnte Einfamilienhäuser nach deutschem Muster ab und engagierte sich für alternative Siedlungsformen, Kibbuzim und genossenschaftliche Wohnprojekte.“

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Eine beschwerliche Überfahrt

Mit der Dampflok über Innsbruck nach Venedig, dort aufs Schiff in den Hafen von Alexandria und dann, nach beschwerlicher Busfahrt, die Ankunft in Palästina.

Zu Fuß muss Lotte Cohn eine Ponton-Brücke am Suez-Kanal überqueren, dann kann die junge Frau aus Berlin endlich, am 30. August 1921, mit der Grenzkontrolle in Kantara das letzte Hindernis passieren auf ihrem Weg nach „Eretz Israel“.

Pionierin der Architektur

„Lotte Cohn war ganz klar eine Pionierin“, sagt die Kunsthistorikerin Ines Sonder, die den Lebensweg der überzeugten Zionistin nachgezeichnet hat.

„In Deutschland gehörte sie zu den ersten Frauen, die ein Architekturstudium absolvierten. Als sie 1921 im Alter von 28 Jahren nach Palästina auswanderte war sie die erste graduierte Architektin im Lande Israel.“

Antisemitismus im Kaiserreich

Bereits in der Schule sei Lotte Cohn, die musisch und mathematisch begabte Tochter einer gutbürgerlichen jüdischen Familie, bereits mit dem Antisemitismus im Kaiserreich konfrontiert gewesen:

„Die Lehrerin sagte ihr, man könne sie als schwarzes Judenmädchen kein Gedicht auf „unsere blonde Königin Luise“ aufsagen lassen.“

„Anlässlich einer Königin-Luise-Feier habe die Lehrerin gesagt, man könne doch nicht so ein schwarzes Judenmädchen ein Gedicht auf „unsere blonde Königin Luise“ aufsagen lassen“, sagt Ines Sonder.

Auswanderung nach Palästina

Gemeinsam mit zwei Schwestern und ihrem Bruder, dem Rabbi und Schriftsteller Emil Bernhard, plant Lotte Cohn die Auswanderung nach Palästina. Dort wollen sie beim Aufbau eines jüdischen Staats helfen.

Aber als die Neuankömmlinge die erste Station im gelobten Land erreichen und frohgemut aus dem Zug springen, landen sie erst einmal im Wüstensand. „Hier sinkt man ins Bodenlose,“ schreibt Lotte im ersten Brief aus Tel Aviv.

Israel als architektonisches Neuland

Doch die Trostlosigkeit eines Ortes ohne Bahnsteige, mit kaum mehr als 200 ärmlichen Häusern, kann einer Architektin nichts anhaben.

„Das ist ihre schönste Zeit gewesen“, sagt Ines Sonder. „Sie war jung, die Zusammenarbeit mit der Pioniergesellschaft verlief gut. Man hat absolutes Neuland betreten.“

Straßenbeleuchtung, Wasserleitungen, Verkehrswege

Praktische Erfahrungen sammelt die deutsche Diplom-Ingenieurin im Büro des Städteplaners Richard Kauffmann. Um kunstvolle Architektur geht es hier nicht, sondern um Straßenbeleuchtung, Wasserleitungen, Verkehrswege und möglichst preiswerte, alltagstaugliche Häuser.

Vor allem für die Kibbuzim, die Genossenschaftssiedlungen, mit ihren charakteristischen Flachdächern. „Flachdächer bauen – das Signum der Moderne – das war also nun Eulen nach Athen tragen. Im Orient wird immer schon mit Flachdächern gebaut“, sagt Ines Sonder.

Tel Aviv, die weiße Stadt

Tel Aviv, die weiße Stadt. Dieses Weltkulturerbe verdankt sich weniger dem Export von Bauhaus-Ideen, sondern ist das Werk zupackender Pioniere wie Lotte Cohn, der ersten Architektin Israels.

Als ihr Markstein erweist sich 1932 der Auftrag für das Strandhotel „Käte Dan“: ganz modern eingerichtet nach europäischem Standard, jedes Zimmer mit Haustelefon. Dieses schlichte weiße Gebäude wurde zum Wahrzeichen Tel Avivs wurde.

Es machte die Architektin berühmt. Von 1929 bis 1968 führte Lotte Cohn ihr eigenes Büro, sie realisierte mehr als 100 meist größere Bauprojekte. Sie war DIE Architektin Israels.

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Jochen Stöckmann