Meine kleinen Schätze – Geschichten von Migration

Maria Tramountani: Schlüsselbund und Oregano

Stand
AUTOR/IN
Maria Tramountani
ONLINEFASSUNG
SWR2.de

Maria Tramountani ist Referentin beim Landesjugendring Baden-Württemberg in Stuttgart. Ihre Großeltern kamen in den sechziger Jahren von Griechenland nach Deutschland. Der Schlüsselbund ist für sie ein Symbol der Zugehörigkeit, jeder Schlüssel daran steht für eine „kleine Heimat“. Beim Geruch von Oregano denkt sie an die Insel Samothraki, wo sie viele Sommer mit der Familie wilden Oregano gepflückt hat.

Jeder Schlüssel öffnet die Tür zu einer „kleinen Heimat“

Ich habe eine besondere Bindung zu meinem Schlüsselbund. Ich weiß, für die meisten Menschen ist er eher ein Gebrauchsgegenstand, ein Mittel zum Zweck. Aber für mich ist er mehr, ein Symbol für Zugehörigkeit, und mit dieser habe ich lange gehadert. Das ist nichts Neues bei uns Migrant*innenkindern in der dritten Generation.

„Die meisten von uns haben sich irgendwann gefragt, wo Heimat ist. Die Eltern sagen das eine, die Gesellschaft das andere, das Herz ist sich immer unsicher. Man wird vor die Wahl gestellt und sobald man sich entscheidet, geschieht etwas, was diese Entscheidung wieder ins Wanken bringt.“

Mein Schlüsselbund musste sich nie für einen Schlüssel entscheiden. Er musste einzelne Schlüssel wieder abgeben und das tat manchmal weh. Aber dafür bekam er neue und irgendwann war das dann auch in Ordnung. Jeder Schlüssel repräsentierte eine Heimat. Kleine Heimaten, wie das Büro. Größere, wie das Haus meiner Eltern oder die Wohnung, in der ich mit meinem Mann lebe. Heimaten, die ich mir selbst geschaffen habe, wie das Theater, in dem ich mit meinem Autor*innenverein Literally Peace e. V. oder meiner Theatergruppe regelmäßig auftrete.

Video herunterladen (6,2 MB | MP4)

Der Schlüsselanhänger öffnet das Herz

Orte, in denen ich ein- und ausgehe, in denen ich willkommen bin, in denen ich Menschen vorfinde, die mich nicht fragen, ob ich mir sicher bin, ob ich dazugehöre. Natürlich tue ich das, warum sonst sollte ich einen Schlüssel haben?

Und irgendwo zwischen all den Schlüsseln ein einziger Schlüsselanhänger. Ein Geschenk, das ich in Griechenland erhielt und das ich mit der alten Heimat verbinde. Er öffnet keine Türen, aber dafür mein Herz, wenn ich damit in meiner Jackentasche spiele, oder er mir beim Aufschließen einer meiner vielen Heimaten wieder in den Blick fällt.

Die ganze Insel Samothraki riecht nach Oregano

Die Luft auf der Insel Samothraki, der Heimat meines Vaters, riecht nach Oregano.
Die Insel ist ein Berg, der aus dem Meer ragt. Im Vergleich zum Festland weht hier auch im Hochsommer ein angenehmer Wind und doch ist es warm und trocken genug, dass sich das Oreganogewächs wohl fühlt.


Nach dem Baden im Meer und vor dem Abendessen, wenn die Sonne tiefer stand, sind wir mit der ganzen Familie immer auf den Berg gefahren. Dort haben uns wilde Ziegen begrüßt, die in der Nachmittagssonne grasten und sich selten von uns stören ließen – wir waren immerhin in ihrem Reich. Papa zeigte uns, woran wir die Oreganozweige erkannten, und wir Kinder pflückten sie und stopften sie in Plastiktüten.

Zigen grasen auf der Insel Samothraki (Foto: Pressestelle, Tramountani)
Zwischen Hügeln und grasenden Ziegen wachsen auf Samothraki wilde Oregano-Sträucher... Bild in Detailansicht öffnen
Maria Tramountani sitzt in Samothraki am Strand (Foto: Pressestelle, Tramountani)
Wenn Maria im Sommer die Heimat ihres Vaters besucht, beginnt sie ihren Tag gerne am Strand... Bild in Detailansicht öffnen
Abendessen auf Samothraki (Foto: Pressestelle, Tramountani)
Abends, wenn die Sonne niedriger steht, geht es nach dem Abendessen, ... Bild in Detailansicht öffnen
Maria Tramountani mit Familie auf Samothraki (Foto: Pressestelle, Tramountani)
... mit der ganzen Familie hoch auf den Berg, ... Bild in Detailansicht öffnen
Maria Tramountani als Kind auf einem Berg in Samothraki (Foto: Pressestelle, Tramountani)
... um dort die Gewürz-Vorräte fürs ganze Jahr aufzufüllen. Bild in Detailansicht öffnen


Auf der Terrasse in der Sonne wurden die Zweige dann getrocknet und anschließend wurde das Gewürz zwischen den Fingern zerrieben und wieder in Tüten gepackt. Der würzige Geruch begleitete uns den ganzen Sommer lang.

„Zurück in Deutschland wurden die Tüten wie kleine Schätze im kühlen Keller gelagert und der Oregano für die Küche in Dosen abgepackt. Es waren keine kleinen Gewürzdöschen, das würde sich nicht lohnen. Oregano kam bei uns in fast jedes Gericht, es war der Geschmack der Heimat“

Das ist er immer noch. Wann immer ich koche, stecke ich meine Nase in die Dose und atme den Geruch tief ein. Es riecht nach Sommer und Meer, nach Sehnsucht und nach Vertrautheit.

Stand
AUTOR/IN
Maria Tramountani
ONLINEFASSUNG
SWR2.de