Diese Vorbildung erkläre auch, von wem sie sich in der Pandemie beraten lasse – nämlich vor allem von Naturwissenschaftlern. Bollmann gibt zu bedenken: „Es geht jetzt ums Abwägen - der Blick auf Naturwissenschaften und Infektionszahlen hilft da nicht weiter.“ Die anderthalb Jahrzehnte an der Spitze der Regierung zeigten aber stets: Merkel laufe erst in Krisen zu großer Form auf. In solchen Situationen schätzten die Deutschen ihre Ruhe und Coolness.
Bollmann findet, Merkel sei mit ihrer Nüchternheit und protestantischen Leistungsethik sehr deutsch. Andererseits halte sie die Deutschen aber für zu weichlich und wohlstandsverwöhnt: „Sie findet: Mein Gott – ich habe 30 Jahre auf den Fall der Mauer gewartet – und ihr könnte nicht mal ein Jahr auf einen Mallorca-Urlaub verzichten.“ Wenn Merkel im Herbst 2021 nach der nächsten Bundestagswahl abtritt, werde man sie vermissen, glaubt Bollmann: „Der Abschiedsschmerz wird groß werden.“
Ralph Bollmann ist Journalist bei der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und Autor einer Merkel-Biografie („Die Deutsche“), die 2013 erschienen ist.