Zeitwort

03.01.1980: Rudi Dutschke wird in Berlin beigesetzt

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AUTOR/IN
Uwe Kossack

Der 1940 geborene Rudi Dutschke gehört zu den charismatischsten und einflussreichsten Persönlichkeiten der frühen Bundesrepublik. Er wurde verehrt und gehasst und war doch nicht das, was linke und rechte Kräfte in ihm sahen.

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Ein bürgerliches Begräbnis für einen hochstilisierten linken Umstürzler

St Annen Friedhof in Berlin-Dahlem. Die Bläser intonieren zum Erbarmen und der Tote, lebte er noch, hätte sie mit seiner heißer sirrenden Stimme gefragt: „Seid ihr des Wahnsinns, Genossen?“

Dass es aber trotzdem an diesem Wintertag auf dem Dahlemer Friedhof so bürgerlich, so protestantisch herkömmlich zuging, das hatte schon seine Ordnung. Rudi Dutschke war nicht der libertäre Freigeist, zu dem ihn die damals noch existierende Linke hochstilisierte, und er war schon gar nicht jene gotteslästerliche Fratze, zu der ihn die Rechtsgläubigen auch hochstilisierten. Das Missverständnis über seine Person hat Rudi Dutschke begleitet und wurde ihm zum Verhängnis.

Nach dem Attentat auf ihn und nach seiner mühselig errungen Genesung, schien er den Mythos vom roten Rudi zu überleben, weil er überlebt hatte. Dann, am Heiligabend 1979, traf ihn jener Schuss von 68 endgültig, und die Legende geisterte erneut umher.

Trauernde gedenken Rudi Dutschke am Berliner Ku'damm (Foto: IMAGO, Friedrich Stark)
Am Abend der Beerdigung treffen sich Trauernde auf dem Berliner Kurfürstendamm, um ihm dort zu gedenken, wo er am 11.4.1968 angeschossen wurde.

Jugend in der DDR, Studium in Westberlin, Karriere in der Studentenbewegung

Rudi Dutschke war ganz anders als seine Verehrer und seine tödlichen Feinde wollten. Er war ein Evangelischer aus der Mark Brandenburg. Er protestierte schon drüben, verweigerte den Dienst bei der Nationalen Volksarmee und konnte deshalb nur in Berlin-West studieren.

Was er über die gerade errichtete Mauer herüber rettete, war sein Protest. Mit dem ging er zunächst zu dem spät dadaistischen Verein „Subversive Aktion“, die die Zeitschrift „Anschläge“ herausgab. Davon blieb ihm die politische Fantasie einerseits und die ihm jederzeit unterstellbare Nähe zum Terrorismus andererseits. In Wahrheit verband Dutschke nichts mit den Terroristen.

Was war es, das Rudi Dutschke zum Volksfeind Nummer 1 machte?

Springers Presse wollte das nicht glauben. Der Mann war gegen die Notstandsgesetze, der Mann war gegen den Vietnamkrieg. Der Mann war gegen jede Autorität, schlagt ihn tot. Das schrieb die Bildzeitung nicht, das musste sie gar nicht mehr schreiben. Das schrien die Leute so lange, bis ein dumm gemachter junger Arbeiter an Ostern 1968 Dutschke in den Kopf schoss.

Dutschke war bescheiden, kein Kommunarde. Er hatte keine Ämter oder Posten. Er war freundlich, ernst, unbestechlich und er war Soziologe. Er war den Fehlern in den Systemen auf der Spur, im Leninistischen und im Kapitalistischen System. Das war es, was ihn für die Herrschenden und ihre Presse so gefährlich machte.

Er zeigte auf die Wunden, die der Wohlstand schlägt, auf die Opfer, die die Macht kostet. Er unterlief das träge Denken der Bonner Republik und stellte sie als Ideologie bloß.

Identifikationsfigur der Linken in Westdeutschland: Rudi Dutschke (Foto: IMAGO, United Archives)
Identifikationsfigur der Linken in Westdeutschland: Rudi Dutschke

„Wie eine brennende Fackel, die auf einmal entzündet wird“

Es war kein Zufall, dass er sich später für die Grünen einsetzte und bei deren Wahlkämpfen mitmachte. Er war immer noch für subversive Aktion, was sonst. Er dachte an die Verbesserung der Welt. War das vermessen?

Nein, es hatte schon seine Ordnung, dass Rudi Dutschke protestantisch zu Grabe getragen wurde und dass Helmut Gollwitzer in seiner Predigt an Martin Niemöller erinnerte, den verfolgten Pfarrer der Dahlemer St.-Annen-Gemeinde in düsterster deutscher Zeit.

Die symbolhafte Nähe zu Christus selbst, in die Dutschke dann von Gollwitzer gerückt wurde, hätte der Tote freilich, lebte er noch, mit den Worten kommentiert: „Bist Du des Wahnsinns, Golli?“

Sicher hat aber der Freund Golli auch das schöne Bild für Rudi Dutschke gefunden, als er sagte: „Wie eine brennende Fackel, die auf einmal entzündet wird, an der Kolonne vorbeigeführt wird und dann in die Dunkelheit hinausgeworfen, wieder erlischt, ist sein Leben in diesen 15 Jahren unter uns gewesen.“

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