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„Twist & Turns“ im Museum Ritter Waldenbuch – Şakir Gökçebağ verwandelt das Alltägliche

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AUTOR/IN
Tobias Ignée

Wanduhren, Regenschirme, Herrenhemden, Toilettenpapier oder Schuhbürsten – der türkischstämmige Objektkünstler Gökçebağ arrangiert banale Alltagsgegenstände neu und erhebt sie damit zur Kunst. Das Museum Ritter in Waldenbuch widmet ihm mit „Twist & Turns“ eine Ausstellung.

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„Twist & Turns“ – Verwandlungen des Alltäglichen von Şakir Gökçebağ (Foto: SWR, Tobias Ignée)
Schon in der Eingangshalle des Museums Ritter zeigt der Künstler eine Arbeit in der Ritter-typischen Quadratform. Şakir Gökçebağ: „Times Square“, 2010/22 (Wanduhren) Tobias Ignée

Das Eckige muss ins Runde: Neue Ausstellung am Museum Ritter

Acht runde Wanduhren aus Metall, quadratisch angeordnet. Die feststehenden Zeiger sind so ausgerichtet, dass sie ebenfalls ein Quadrat nachzeichnen. „Times Square“ lautet der Titel des irritierenden Spiels mit der Weltuhrzeit, das aus gutem Grund gleich bereits im Foyer des Museums in die Ausstellung lockt. Denn das Quadrat steht nicht nur für die Schokolade aus dem Hause Ritter, es ist auch der Sammlungsschwerpunkt von Marli Hoppe-Ritter.

„Wir hatten vor einigen Jahren mal eine Ausstellung zum Thema ‚Das Runde muss ins Eckige‘, deswegen ist jetzt mal gefragt, das Gegenteil zu präsentieren. Also in dem Fall muss das Eckige ins Runde.“

Kreis und Quadrat, geometrische Formen, mit denen der in Hamburg lebende türkischstämmige Künstler Şakir Gökçebağ auch in vielen anderen Wandinstallationen spielt, wie etwa in seinem „Goldenen Schnitt“. Eingefasst in einem 1,5 m auf 2,4 m großen Rahmen hat er unzählige Stückchen eines auseinandergeschnittenen gelben Gartenschlauchs nebeneinander geklebt.

Oder aber, wenn er aus einem Teppich unterschiedlich große Ringe ausschneidet und auf einer Länge von mehreren Metern an die Wand heftet – angeordnet wie die olympischen Ringe.

„Twist & Turns“ – Verwandlungen des Alltäglichen von Şakir Gökçebağ (Foto: SWR, Tobias Ignée)
Bei den meisten Objekten von Gökçebağ erschließt sich erst bei genauerem Hinschauen, dass es sich um Alltagsgenstände handelt. Şakir Gökçebağ: „A05“, 2007 (Fotografie) Tobias Ignée

Şakir Gökçebağs Alltagsgegenstände sind gleichzeitig wiedererkennbar und abstrahiert

Dem Künstler gehe es eben auch darum, dass die Materialien, die er verwendet, als Alltagsgegenstände wiedererkennbar seien, erklärt Museumsleiterin Barbara Willert.

„Er spricht selbst von universalen Objekten, die er einsetzt und es ist ihm wichtig, dass sie auf allen Kontinenten im Grunde wiederzufinden sind. Wenngleich natürlich der Alltagsgegenstand selbst eine wahnsinnige Aufwertung erfährt, indem er nämlich Teil eines Kunstwerkes wird.“

Wie zum Beispiel Schuhbürsten, die in Reih und Glied zu Rauten an der Wand montiert sind und in ihrer Ornamentik an Grundmuster orientalischer Teppiche erinnern oder eine Installation aus in Streifen zerschnittenen Herrenhemden. In der Mitte die Hemdkragen und drum herum die Streifen, konzentrisch angeordnet. Ein tiefenräumlich wirkendes Stofflabyrinth, das wie eine optische Täuschung mit der Wahrnehmung spielt. Nicht umsonst lautet der Titel des Werks auch „Perfection“.

„Twist & Turns“ – Verwandlungen des Alltäglichen von Şakir Gökçebağ (Foto: SWR, Tobias Ignée)
Şakir Gökçebağ: „Ohne Titel“, 2022 (Schuhbürsten) Tobias Ignée Bild in Detailansicht öffnen
Şakir Gökçebağ: „Der Goldene Schnitt“, 2015 - Gartenschlauch, geschnitten Tobias Ignée Bild in Detailansicht öffnen
Şakir Gökçebağ: „AP 16“, 2010 (Fotografie) Tobias Ignée Bild in Detailansicht öffnen
Şakir Gökçebağ: „AP 12“, 2007 (Fotografie) Tobias Ignée Bild in Detailansicht öffnen
Şakir Gökçebağ: „Perfection 9“, 2022 (Hemden, geschnitten) Tobias Ignée Bild in Detailansicht öffnen
Şakir Gökçebağ: „Red Cube“, 2022 (Bitumenwellplatten) Tobias Ignée Bild in Detailansicht öffnen
Şakir Gökçebağ: „Spirit Arches“, 2022 (Wasserwaagen) Tobias Ignée Bild in Detailansicht öffnen
Şakir Gökçebağ: „Reorientation 21“, 2020(Teppich geschnitten) Tobias Ignée Bild in Detailansicht öffnen
Şakir Gökçebağ: „Nihavend Longa“, 2022 (Kleiderbügel, geschnitten) Tobias Ignée Bild in Detailansicht öffnen
Şakir Gökçebağ: „Black Forrest II“, 2015 (Regenschirme, geschnitten) Tobias Ignée Bild in Detailansicht öffnen
Şakir Gökçebağ: „Parabol“, 2014 (Regenschirme, geschnitten) Tobias Ignée Bild in Detailansicht öffnen

„Er arbeitet extrem präzise und setzt messerscharfe, präzise Schnitte auch in die Materialien, die er verwendet.“

 „Trans-layers“: Toilettenpapier ist nicht gleich Toilettenpapier

Dass Şakir Gökçebağ großen Wert auf streng geometrische Formen und Präzision legt, zeigt auch die Wandinstallation „Trans-layers“: rund 200 Toilettenpapierrollen, verbunden durch abgerolltes Papier, mal straff gespannt, mal durchhängend.

„Twist & Turns“ – Verwandlungen des Alltäglichen von Şakir Gökçebağ (Foto: SWR, Tobias Ignée)
Bei seiner Installation aus Toilettenpapier zeigte sich der Künstler wählerisch. Wichtig war aber die Form, nicht die Anzahl der Lagen. Şakir Gökçebağ: „Trans-layers“ (Toilettenpapier) Tobias Ignée

Das Museum, das dem Künstler beim Aufbau zur Seite stand, organisierte die Rollen über die hauseigene Putzfirma. Da aber Toilettenpapier nicht gleich Toilettenpapier ist, mussten bestimmte Anforderungen erfüllt sein. So etwa die kreisrunde Form des inneren Kartons:

„Dem Künstler war darüber hinaus wichtig, dass die faltenartigen Schwingungen der Klopapierblätter, die wir hier sehen einfach wirklich sehr, sehr rund und schwungvoll rüberkommen und nicht irgendwie eine gezackte, stakkatohafte Schwingung zeigen.“

„Twist & Turns“ – Verwandlungen des Alltäglichen von Şakir Gökçebağ (Foto: SWR, Tobias Ignée)
Nichts für Arachnophobiker*innen: Gökçebağs Gummistiefel-Spinne. Şakir Gökçebağ: „Spider“, 2016 (Gummistiefel, geschnitten) Tobias Ignée

In Gökçebağs Vision wird ein Gummistiefel zur Spinne

Mit seinen geometrisch arrangierten Alltagsgegenständen steht Şakir Gökçebağ ganz in der Tradition des Minimalismus und des „Nouveaux Réalisme“ der 60er-Jahre. Einer Tradition, mir der er nur in einem Werk bricht.

In einer Ecke, oben im Ausstellungsraum, hat er aus einem zerschnittenen Gummistiefel eine große schwarze Spinne geformt. Manch ein Besucher der äußerst witzigen Ausstellung wird es dem Objektkünstler wohl danken, dass er hier vom Leitmotiv der Akkumulation, also der massenhaften Anhäufung, abgesehen hat.

Ausstellung Zeit, Sterblichkeit und Liebe: Michael Anthony Müller im Städel Museum Frankfurt

Michael Anthony Müller gehört neben Künstlern wie Andreas Mühe zu den prägenden Figuren der deutsche Gegenwartskunst. Der in Ingelheim am Rhein geborene Müller hat englisch-indische Wurzeln, wohnt und arbeitet in Berlin. Davor lebte er viele Jahre in Indien in einem Kloster. Seitdem beschäftigt er sich mit der Bedeutung von Zeit, Sterblichkeit und Liebe. Die griechische Antike spielt in Müllers 6x65 Meter großen Leinwandarbeit „Der geschenkte Tag" dabei genauso eine Rolle, wie die beeindruckende Idee, mit einem abstrakten Kunstwerk eine Geschichte zu erzählen.

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