Marc Chagall ist bekannt für seinen farbenfrohen Bilderkosmos. Seine fliegenden Kühe und schwebenden Engel sind beliebte Postkartenmotive. Doch der jüdische Künstler, der in seinem fast 100-jährigen Leben Vertreibung und Krisen durchstand, ist viel mehr als ein ausgezeichneter Fantast. Das zeigt die Kunsthalle Schirn in einer differenzierten Werkschau.
Chagall ist mehr als der Poet unter den Avantgardist*innen
Sie schaut traurig aus, die weiße Kuh. Ihr Euter ist voll gefüllt, kein Kalb in Sicht. Vor ihr eine Geige, neben ihr ein Mann mit einer Gebetsrolle. Im Hintergrund die Silhouette einer Stadt. Rauchwolken ziehen über das Szenario.
Chagalls Gemälde aus dem Jahr 1933 trägt den Titel „Einsamkeit“ und eröffnet die Werkschau in der Schirn. Chagall ist nicht nur bunt und fantastisch, sagt Kuratorin Ilka Voermann.

Die Ausstellung zeige einen Zeitabschnitt in Chagalls Werk, der weniger bekannt sei: die 30er und 40er Jahre. „Wir sehen hier, dass Chagall deutlich mehr ist als der Poet unter den Avantgardemalern, sondern jemand, dessen Werk ganz stark in der Lebensrealität verankert ist“, sagt Voermann.
Die Stadt als Symbol für die verlorene Heimat
Die Ausstellung erzählt in sieben Kapiteln vom Leben und Werk des Künstlers, der fast 100 Jahre alt geworden ist. Seine jüdischen Wurzeln, die Frage nach Flucht und Vertreibung und die Auseinandersetzung mit seiner Heimat sind dabei thematische Schwerpunkte.
Immer wieder sehen wir Kirchtürme, Dächer, Silhouetten von Siedlungen. Marc Chagall wurde 1887 in Witebsk geboren, das im heutigen Belarus liegt. Sein Geburtsort spielt immer eine große Rolle: „Diese Stadt verlässt er 1922, er kehrt nie wieder zurück. Diese Stadt ist ein Symbol für die verlorene Heimat, ein Sehnsuchtsort“, erklärt Voermann.
Auseinandersetzung mit der Flucht vor den Nazis und Holocaust
Chagall, der unter der wachsenden Bedrohung durch die Nationalsozialisten immer wieder umsiedelte, spiegelt in seinem Werk Zeitgeschichte. Besonders deutlich in der Zeichnung „Apokalypse“. Poetisch ist hier nichts mehr. Fast in reinen schwarz-weiß Tönen gehalten, spricht Chagall in dem Werk von 1945 klare Worte.
„Ein Sinnbild für die Ermordung der Juden in Europa“, erläutert Ilka Voermann das Werk. „Er stellt Christus als Juden dar. Das Hakenkreuz ist etwas verfälscht, klare Zeitbezüge, und auch die Figur erinnert deutlich an Adolf Hitler.“
Frankfurter Schirn zeigt die ganze Vielfalt von Chagall
Marc Chagall war vielfältig interessiert. Begleitete bereits in seinen frühen Jahren in Russland Theaterproduktionen. In seiner Zeit in New York, nach seiner Flucht vor den Nazis, führte er diese Leidenschaft fort. In der Schirn sind Zeugnisse dieser Gesamtkunstwerke ausgestellt.
Die differenzierte Schau in der Schirn Kunsthalle zeigt einen Chagall, der mit seinen Lebenswirklichkeiten im Dialog ist. Einen Künstler, der sich selbst nie als Fantast sah, von der Kritik aber oft in die Nähe der Surrealisten gestellt wurde.
Drastische Bilder am Ende des Rundgangs, wie das des gehäuteten Ochsen aus dem Jahr 1947 dokumentieren das besonders eklatant. Das Blut des aufgeschlitzten Ochsen tropft in einen Eimer, er ist aufgehängt wie Jesus. Blutüberströmt blickt er dem sicheren Tod ins Auge. Da helfen auch keine Engel mehr.
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