
Im Frühjahr 1945 war Ludwig Windstosser ein junger Bursche von 24 Jahren. Er hatte den Krieg hinter sich, jetzt wandte er sich entschieden anderen Dingen zu.
Windstosser wurde Fotograf und verlegte sich auf Abstraktion. Mit Gleichgesinnten gründete er die Gruppe „foto-form“. „Der Name an sich war eine klare Abgrenzung zur Zeit des Nationalsozialismus und eine Wiederanknüpfung an das neue Sehen der Zwanzigerjahre“, sagt Angela Krätz, Kuratorin der aktuellen Windstosser-Ausstellung im Stadtpalais Stuttgart.
Die Ästhetik des Wirtschaftswunders
Die Ausstellung zeigt, wie souverän Ludwig Windstosser sein Formgefühl aus der Sphäre der reinen Kunst ins Geschäftsfeld der Industriefotografie übertragen hat. Hochöfen, Papierstapel oder Bergwerke im Ruhrpott – Windstosser ästhetisierte das Wirtschaftswunder.
Seine Bilder folgen einem ästhetischen Kalkül, sagt Moritz Wullen, Direktor der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin und Betreuer von Windstossers Nachlass. „Für die ihn beauftragenden Unternehmen hat er eine jeweils maßgeschneiderte visuelle Rhetorik entwickelt.“ Der Erfolg macht den Fotografen in der eigenen Branche zu einer Größe.
Befreiung aus altbackenen Strukturen
Mit seinem Standing wagte es Ludwig Windstosser Ende der 60er sogar, sich mit der Bürokratie anzulegen. Fotografie als Beruf durfte seinerzeit nur ausüben, wer sich der deutschen Handwerksordnung unterwarf – ein schon damals absurdes Überbleibsel altbackener Strukturen, untauglich für ein kreatives Feld wie die Fotografie.
Ludwig Windstosser tat sich mit ein paar Stuttgarter Kollegen zusammen. Gemeinsam notierten sie in einer Kneipe einen Schlachtplan und gründeten 1969 den Bund Freischaffender Fotodesigner.
Von der Laborantin zum Fotomodell
Als solcher hatte Windstosser so großen Erfolg, dass er sich eine moderne Traumvilla in bester Stuttgarter Hanglage leisten konnte. „Als ich das Haus gesehen habe, habe ich gedacht: Nein, da fängst du an zu arbeiten. Das ist so toll, ja wenn der dich nimmt, da gehste hin!“, erinnert sich seine frühere Laborantin Heide Schmidt.
Sie ging, und wurde prompt mehr als die graue Maus in der Dunkelkammer. Ludwig Windstosser setzte Heide Schmidt immer wieder als Modell ein, wenn er Bilder inszenierte für Fotobücher über Städte.
Im Stuttgart-Buch zum Beispiel gibt es eine Doppelseite mit ihr. „Da hatte ich irgend so eine Gerbera in der Hand. Das war natürlich furchtbar gestellt, das würde man heute wahrscheinlich anders machen.“
Künstlichkeit und Heimatlichkeit als Lebensgefühl
Jedes Detail ist so haargenau abgestimmt, dass im Ergebnis alles erstarrt. Gleichzeitig dokumentiert gerade diese groteske Künstlichkeit den damaligen Zeitgeist.
„Das finde ich faszinierend, weil es die Regionalisierung des westdeutschen Denkens in den 70er und 80er Jahren dokumentiert“, sagt Moritz Wullen. Es sei eine Heimatlichkeit, die uns heutzutage fremd sei.
Zusammen mit den frühen Form-Experimenten und der brillanten Industrie-Fotografie zeigt die Stuttgarter Ausstellung, dass der noch wenig bekannte Ludwig Windstosser als enorm vielseitiger Fotograf neu zu entdecken ist.