Wie funktioniert radikale, sozial engagierte Kunst? Ist eine globale Kunst möglich? Diese Fragen beschäftigen Theaterregisseur Milo Rau in seinen aktivistischen Arbeiten, die oft in Krisengebieten dieser Welt stattfinden. Die Kunsthalle St. Gallen blickt nun mit „Warum Kunst?“ auf die vergangenen 15 Jahre seines Aktivismus zurück.
Ein unverstellter Blick auf die Realität
Der Blick auf politische Konflikte, Unbequemes an die Oberfläche bringen: genau darum geht es Milo Rau.
„Wir müssen die Welt so zeigen, wie sie ist und nicht so, wie wir sie uns zurecht schneiden.“
Wie er das die letzten 15 Jahre gemacht hat, zeigt nun die Schau in St. Gallen: Rau mit Megafon vor dem Berliner Reichstag, in seinem Livestream-Format „School of Resistance“, in Gesprächen mit Aktivist*innen und Politiker*innen.
Und Milo Rau im Kongo. Dort hat er ein ziviles Volkstribunal geschaffen, bei dem Opfer, Täter und Analytiker Verbrechen des Kongokrieges exemplarisch verhandeln.
Mit aktivistischer Kunst die Welt verändern
15 Jahre Kunst und Aktivismus: Das Archiv zeigt, dass Milo Rau die Welt nicht nur abbilden will. Er will sie verändern.
Durch das Filmprojekt „Das Neue Evangelium“ in Matera hat er etwa nicht nur die Ausbeutung der ägyptischen Flüchtlinge in der italienischen Landwirtschaft gezeigt. Er hat dort eine neue landwirtschaftliche Vertriebsstelle gegründet, bei der Geflüchtete gerechten Lohn und menschenwürdige Unterkünfte bekommen. Die Produkte, Tomatensaucen von würzig bis scharf, stehen in der Ausstellung auf einem Tisch, inszeniert wie das letzte Abendmahl.

Koloniales Erbe im Fokus
Und dann wäre da im letzten Ausstellungsraum noch der Nachbau eines altägyptischen Totenschiffs, platziert auf einer Art Schweizer Heuwagen. Symbolisch schickt Rau darauf die ägyptische Mumie Schepenese in ihre Heimat zurück. Bisher liegt sie in der St. Galler Stiftsbibliothek aufgebahrt. Rau fordert ihre Rückführung.
Gerade wurde ihm der „Große Kulturpreis“ des Kantons St. Gallen verliehen. Das Preisgeld von 30.000 Franken verwendet er für diese politische Aktion, organisiert Workshops und Konferenzen zur Frage nach dem Umgang mit kolonialer Kunst.
„Warum Kunst?“ Milo Rau
Ausstellung in der Kunsthalle St. Gallen
bis 18. Dezember 2022
Bühne Kein Platz für Widersprüche: Milo Rau zeigt „Wilhelm Tell“ nach Friedrich Schiller in Zürich
Der Schweizer Regisseur, Aktivist und Theatermacher Milo Rau führt Schillers Freiheitsdrama „Wilhelm Tell“ am Züricher Schauspielhaus in die Gegenwart. Mit persönlichen Geschichten von Schauspielenden und gecasteten Laiendarstellenden liefert er eine aufwühlende wie berührende Aufführung. Doch im Gegensatz zu Schillers Originalfassung bekommt der Kampf um Freiheit bei Milo Rau einen sakralen und andächtigen Anstrich, bei dem alle moralisch jederzeit auf der richtigen Seite stehen. Ein belehrender Gestus, der unangenehm ist, findet Eva Marburg.
Gespräch Postkoloniale Kritik auf der Bühne: Das Theaterstück ,,The Ghosts Are Returning“ fordert Restitution
Sie wolle mit ihrem Theaterstück ,,The Ghosts Are Returning“ der freien Gruppe ,,GROUP 50:50“ ein ,,transnationales Ritual“ schaffen, das die Debatte um Restitution auf Augenhöhe verhandele, sagt Eva-Maria Bertschy, langjährige Dramaturgin von Milo Rau, in SWR2.
Zeitgenossen Milo Rau: „Ein Jesus-Film muss einlösen, was die Bibel fordert.“
Der Schweizer ist einer der einflussreichsten Regisseure Europas. Milo Raus Theaterstücke erregen sehr viel Aufmerksamkeit, denn sie sind hochpolitisch: er bringt das Grauen auf die Bühne, z. B. in seinem Stück „Hate Radio“ über den Völkermord in Ruanda und in „Breiviks Statement“ über den norwegischen Rechtsterroristen Anders Breivik.