Joseph Beuys wünschte sich das Museum als „Ort permanenter Konferenz“
Mit den gängigen Vorstellungen einer Museumspräsentation hatte Joseph Beuys nicht viel im Sinn. Fast jede Ausstellung seiner Werke hat er daher mit großem, auch körperlichem Einsatz selbst installiert.
Darunter den Beuys-Raum in der Stuttgarter Staatsgalerie, die anlässlich des 100. Geburtstages das Museumsverständnis des Künstlers nachzeichnet. Statt stiller Betrachtung wünschte sich Beuys eine intensive Auseinandersetzung des Publikums mit den Werken – das Museum als „Ort permanenter Konferenz“.

Beuys zum Stirling-Bau der Staatsgalerie: „Viel zu mickrig“
Das muss man sich mal vorstellen: Da wird 1984 in Stuttgart die neue Staatsgalerie, der spektakuläre Stirling-Neubau, eingeweiht, der bereits als Museumswunder gefeiert wird, und der einzige Kommentar, der Joseph Beuys dazu einfällt, lautet: „viel zu mickrig“. Er war unzufrieden mit dem ihm zugeteilten Raum.
Nach langer, harter Verhandlung konnte er sich schließlich einen der Eckräume sichern, erzählt die Kuratorin und stellvertretende wissenschaftliche Direktorin der Staatsgalerie Ina Conzen: „Jeder, der hier hereinkommt, ist ein wenig überwältigt, vielleicht auch sprachlos. Das ist ja das, was Beuys immer interessiert hat: Eben nicht ästhetisch gefällige Kunst zu schaffen, sondern Kunst, die das Denken anregt.“

Der Beuys-Raum passte so gar nicht ins Konzept der Staatsgalerie Stuttgart
Tatsächlich passt dieser Raum so gar nichts ins Konzept. Sechs ganz unterschiedliche, auch zeitlich zum Teil sehr weit auseinanderliegende Kunstwerke hat Beuys hier aufgestellt. Der Blick bleibt dabei automatisch an einem Werk hängen, das den Titel „Dernier Espace avec introspecteur“ trägt. Ein Stuhl mit einem riesigen Bienenwachsklumpen steht da mitten im Weg, darunter der Untergrund aus Gips, aufgebrochen, was so etwas wie Baustellenatmosphäre vermittelt.

Verstärkt wird das Gefühl durch zwei fast 15 Meter lange, ineinandergeschobene Röhren, die fast in der Mitte durchzubrechen drohen und von der einen Wand rein- und an der anderen Wand wieder hinausführen.
Die Kunstwerke werden erst durch das Denken des Betrachters fertig
„Er installiert die Kunstwerke jetzt eben nicht so wie man das als Kunsthistoriker im Museum machen würde“, erklärt Conzen. Vielmehr wirke es so: „Der Künstler ist gerade weggegangen und das ist irgendwie unaufgeräumt und das ist so im Prozess begriffen. Dieses Prozessuale, ist ein interessanter Ansatz: Die Werke sind nicht fertig, weil sie erst durch das Denken des Betrachters fertig werden.“
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Museumsbesucher*innen sollen sich zwischen den Werken bewegen können
„Plastischer Fuß Elastischer Fuß“ heißt das zweite Werk, zwei gut 12 Quadratmeter große Wandplanen aus Filz und Gummi, die unten auf eine Stahlplatte fallen, auf der drei Autobatterien aufgestellt sind. Fotos zeigen, wie Beuys im dicken Fellmantel zwischen den Planen posiert.

Genau so sollten sich auch die Besucherinnen und Besucher zwischen den Werken bewegen können. Aus diesem Grund sah er sich gezwungen, die Figuren von Oskar Schlemmers „Triadischem Ballett“ neu zu arrangieren, um sie so zu präsentieren, dass sich das Publikum zwischen den Tänzer*innen aufhalten und damit Teil des Balletts werden kann.
Geistesbande zwischen Künstlern - stärker als Familienbande
Beuys hatte da eine radikale Haltung, meint Kuratorin Ina Conzen. Familie Schlemmer sei damit allerdings nicht einverstanden gewesen. Beuys hätte dazu gesagt, ihn als Künstler verbänden mit Schlemmer Geistesbande, und die seien stärker als Familienbande.
Der Raumkurator Beuys zeigte sich völlig ungerührt gegenüber gängigen Museumspraktiken. Für ihn gab es nie ein einziges Konzept. Anhand vieler Fotos dokumentiert die Ausstellung die Vorgeschichte der Stuttgarter Werke. Die großen Installationen wurden dabei den örtlichen Gegebenheiten in Düsseldorf, Stockholm oder Paris entsprechend angepasst. Und immer mittendrin und immer in Aktion: Beuys mit Filzhut und Anglerweste. Ein Künstler, der sich selbst als Kunst inszeniert.
Videobeitrag des Kulturmagazin Kunscht! zur Beuys-Ausstellung in Stuttgart: