Lange Segelreisen ohne neueste Technik - das war vor 5000 Jahren möglich
Allein die Vorstellung ist abenteuerlich: die scheinbar unendliche Weite eines gigantischen Ozeans mit einem Segelboot bezwingen zu wollen, und das bereits vor 5000 Jahren ohne neueste Technik. Dass sehr wohl ging, bestätigt Kurator und Ozeanien-Experte Ulrich Menter und schildert ein Experiment aus dem Jahr 1976.
Damals waren Menschen mit einem Nachbau eines hawaiianischen Doppelrumpfbootes über 4000 Kilometer offene See von Hawaii nach Tahiti gesegelt. Auch ohne moderne Navigationshilfsmittel waren sie ans Ziel gekommen. „Diese immensen Kenntnisse, die die Navigatoren haben mussten –an welchem Punkt des Horizontes geht welcher Stern auf und wann unter – das ist schon faszinierend“, sagt Menter bewundernd.
Und so sind denn auch die ausgestellten Bootsmodelle ein fesselnder Hingucker. Schon eine kleinere Version – das Modell eines Auslegerbootes – ist mit aufwändigen Verzierungen versehen. Größere Segelboote zur Überwindung weiter Strecken beeindrucken durch ihre ausgefeilte Konstruktion.
„Erwerbsumstände unbekannt“ - häufig stolpert man über diesen Hinweis
Ozeanien – das sind mehr als 7000 Inseln, 1450 verschiedene Sprachen, ganz unterschiedliche Kulturen. Eine Vielfalt, die schwer abzubilden ist. Australien fällt bei dieser neuen Ausstellung außen vor. Die 270 gezeigten Objekte – Ritualmasken, Nackenstützen, Angelhaken, Schmuck und Giebelskulpturen – stellen daher allenfalls Momentaufnahmen, wenngleich sehr beeindruckende Ausschnitte, dar. Und wer die kleinen Erklärtafeln studiert, wird häufig über den Hinweis stolpern „Erwerbsumstände unbekannt“.

„Wir wissen in der Regel, wer die europäischen Erwerber waren“, erklärt Menter den Hintergrund dieser Tafeln. „Wir wissen in der Regel nicht, wer die Menschen waren, die die Objekte übergeben haben oder denen die Objekte genommen wurden.“ Gerade über die wichtigen Fakten, in welchem Kontext ein Besitzerwechsel stattfand, gebe es fast keine Unterlagen, so Menter.
Schrift wurde in Ozeanien vor allem durch Missionare eingeführt
Die Ozeanien-Sammlung des Stuttgarter Linden-Museums stammt aus der Kolonialzeit, die Sammler waren hauptsächlich Händler, Forschungsreisende, Pflanzer, Kolonialbeamte, nur wenige Angehörige des Militärs und viele Missionare, die auf die Götterwelt der indigenen Bevölkerung sehr ambivalent reagierten.
In den ozeanischen Kulturen kannte man keine Schrift, wie Menter erläutert: „Die Schrift wurde vor allem eingeführt durch die Mission. Und die Mission hatte nicht unbedingt allerorten das Interesse, solche Zeremonien und Verhaltensweisen zu dokumentieren und zu erhalten“. Nur durch eine mündliche Überlieferung könne innerhalb einer Generation das Wissen völlig verloren gehen.

„Bedeutung unbekannt“ – auch dieser Hinweis findet sich daher immer wieder im Kontext dieser dichten, sehr gelungenen Ausstellung, die sich auf wenige Highlights konzentriert. Die ungeklärten, sicher oft zweifelhaften Hintergründe der Sammlung werden nicht ausgespart, sind jedoch in eine interaktive Station gebannt, die Auskunft über Provenienz und Sammlerpersönlichkeiten gibt.
Stellt sich die Frage, ob angesichts laufender Restitutionsdebatten eine solche Zurschaustellung indigener Kultur noch zeitgemäß ist? „Unbedingt“, meint Kurator Ulrich Menter, „weil natürlich an dem, was man sieht, sich dann wieder Fragen entzünden, die dann vielleicht dazu führen, dass man sich auch intensiver auf verschiedenste Art und Weisen mit den Sammlungen befasst.“
