Wegweisendes Werk für Psychatrie und Kunstgeschichte
380 Seiten, über 100 Abbildungen, sogar in Farbe: „Ohne dieses Buch sähe die Kunstgeschichte heute sicherlich anders aus, und es hat auch eine Menge für das Ansehen von psychisch Kranken getan“, stellt Thomas Röske, der heutige Leiter der Sammlung Prinzhorn in Heidelberg fest.

Hans Prinzhorn war nicht nur Mediziner, sondern auch Kunsthistoriker. Das habe seine Perspektive, als er nach Heidelberg berufen wurde, um sich um bereits gesammelte Werke von Anstaltspatienten zu kümmern, sagt Röske.
Kunst hilft den Patient*innen, sich mit ihrer Lebenssituation auseinanderzusetzen
Prinzhorn wollte diese Sammlung erweitern. Auf der Suche nach dem Unbewussten als Ursprung der Kunst schrieb er 1918 an Heilanstalten im gesamten deutschsprachigen Raum. Prinzhorn erhielt mehr als 5.000 Arbeiten von Psychiatriepatienten. Zeichnungen, Malerei, Collagen, Skulpturen und sogar ein Jäckchen, das die Patientin Agnes Richter 1895 geschneidert und mit Botschaften bestickt hat.
„Das war bei diesen Anstaltsaufenthalten von bis zu 50 Jahren, was eigentlich Diagnose Schizophrenie lebenslänglich bedeutete, der Versuch, wieder Ordnung in das Chaos zu bringen und sich mit der eigenen Lebenssituation auseinanderzusetzen“, sagt Ingrid von Beyme, heute Kuratorin der Sammlung Prinzhorn, über diese Kunst aus der Psychiatrie.
Prinzhorn verlässt das Heidelberger Projekt im Streit
Als 1922 das Buch „Bildnerei der Geisteskranken“ veröffentlicht wird, hat Autor Hans Prinzhorn Heidelberg bereits im Zorn verlassen — wegen Unstimmigkeiten mit dem Leiter der Psychiatrie Universitätsklinik.

Prinzhorn habe offenbar darauf gehofft, vermutet Thomas Röske dass er Leiter eines eigenen Museums für pathologische Kunst würde. Und das hat sich damals noch nicht materialisiert..“ Prinzhorn stirbt 1933 mit nur 47 Jahren. Zuvor hat er sich noch den Nazis angenähert. Prinzhorn habe sie bei aller Kritik letztlich für eine „gute Bewegung“ gehalten, die man unterstützen sollte, so Röske: „Er ist zu früh gestorben, um zu sehen, was aus dem Nationalsozialismus letztlich geworden ist.“
Geschichte der Psychatrie eng verflochten mit der NS-Euthanasie
Ab 1938 werden Werke der Sammlung Prinzhorn bei der Wanderausstellung Entartete Kunst als „Vergleichsmaterial“ missbraucht. Moderne Kunst ist für die Nazis „Kunst der Irren“. Und ab 1940 ist Geschichte der Sammlung Prinzhorn auch eine Geschichte der NS-Euthanasie.
„Wir sind immer noch dabei zu recherchieren, wer von unseren Patientenkünstlern Opfer geworden sind. Und wir gehen derzeit aus von 40 Männern und Frauen, die dazu zählen, leider“, sagt der derzeitige Leiter der Sammlung.
Kunscht über „100 Jahre Sammlung Prinzhorn“:
Erst im Jahr 2001 bekommt die Sammlung ein eigenes Museum
Überlebt haben allein die Kunstwerke. Dank Max Ernst wird das Buch von Prinzhorn zur „Bibel der Surrealisten“. Das Standardwerk des Unbewussten in der Kunst. Nach 1945 entstehen dafür die Begriffe „Art Brut“ oder „Outsider Art“.
Doch es dauert bis zum Jahr 2001, ehe die Universitätsklinik Heidelberg für ihre weltberühmte Sammlung Prinzhorn endlich ein eigenes Museum eröffnet. In einem ehemaligen Hörsaalgebäude, dort, wo Hans Prinzhorn einst geforscht und gelehrt hat. Die nach ihm benannte Sammlung wächst weiter, umfasst inzwischen 40.000 Werke.