
1921 präsentierte Fritz von Graevenitz seine Tierfigur Äsendes Reh auf einer Leipziger Handwerksausstellung und traf damit den Nerv seiner Zeit. Sogar in einem Häuschen am Fuße des Kilimandscharo könne man eine Kopie des Rehs finden, erzählt Julia Müller: „Es ist eines seiner verbreitetsten und auch später am meisten plagiierten Kunstwerke.“
Bildhauerei, die sich dem Krieg verpflichtet
Doch die Leiterin des Stuttgarter Graevenitz-Museums berichtet auch von der anderen Seite des Bildhauers. Das war der autoritätshörige, ehemalige Soldat, der seine Vorstellungen von Heldentum, Opferbereitschaft und Vaterlandsliebe in Ehrenmale und monumentale Skulpturen zu meißeln begann.

Eine Kunst, die sich auch dem Krieg verpflichtet sieht. So schreibt von Graevenitz über die Bildhauerei: „Denn wie aus schweren Träumen erwachen sie wieder, die steinernen Symbole des Kriegs. Und sie müssen erwachen, denn der Krieg bedarf der männlichsten Kunst, der Plastik.“
Kunst für den Führer
1935 steht Fritz von Graevenitz auf dem Nürnberger Reichsparteitag hinter der Tribüne, um den Führer zu studieren. Seine Büste von Adolf Hitler wird später viele Male kopiert.

Zwei Jahre später erhält er den Auftrag für ein nationalsozialistisches Prestigeprojekt in Königsberg, für eine gewaltige Adlerskulptur von sieben Metern Spannbreite und drei Meter Höhe. „In den Krallen hatte er das Hakenkreuz. Und das sollte in Königsberg aufgestellt werden auf einem 12 Meter hohen Turm. Dazu kam es dann auch. Das ist ein ganz klares politisches Zeichen“, sagt Müller.
NS-Vergangenheit kein Thema des Museums
Im Graevenitz- Museum wird diese problematische Seite des Künstlers nicht sichtbar. Seine Tierfiguren sind präsent, einige Frauenbüsten, dann eine Reihe Landschaftsaquarelle. Auch auf der Homepage wird die Verbindung nur insofern thematisiert, als auf die Dissertation der Museumsleiterin hingewiesen wird: „Der Bildhauer Fritz von Graevenitz und die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart zwischen 1933 und 1945.“
Die Kunsthistorikerin Julia Müller räumt ein: „Die Lücke ist auf jeden Fall da. Und das verstehe ich auch. Man sieht, wenn man als Profi hier in das Museum kommt, dass einfach diese Zeit fehlt.“ Das sei wohl auch darauf zurückzuführen, dass die Familie des Künstlers das Museum zunächst alleine geführt habe: „Als Familie ist das sicherlich nicht der Schwerpunkt gewesen, den man da ausstellen wollte.“
Die Lücke schließen
15 Jahre Überzeugungsarbeit seien nötig gewesen. Heute sei man bereit, auch die problematische Zeit zu bearbeiten. „Da war der erste Schritt die Doktorarbeit. Der nächste Schritt ist jetzt, diese Werke in dem Kontext vorzustellen.“
Das bedeutet konkret: Ein großes, digitales Foto-Album, an dem derzeit noch gearbeitet wird, soll ab Sommer diese Lücke zumindest aufs Erste schließen. Museumsleiterin Julia Müller würde das NS-Kapitel des Bildhauers gern in einem Extra-Raum aufgreifen, steht aber in Verhandlungen darüber mit dem Land Baden-Württemberg als Besitzer des Hauses.
Viele NS-Werke gibt es nicht mehr
Hinzu kommt noch eine ganz andere Schwierigkeit. Außer einer Büste von Wolf Rüdiger Hess, dem Sohn von Rudolf Hess, und einem Heldensarkophag auf dem Friedhof von Schloss Solitude sei nicht mehr viel Ausstellbares aus dieser Zeit vorhanden, „was wirklich auch die Referenz auf diese Politik und auf die Wünsche der NS-Zeit genau darauf bezogen zeigt. Wir haben zwei Jugendfrauen von 1941, wir haben Büsten, wir haben Torsos. Aber ich habe keinen Adler, kein Porträt von Adolf Hitler. Alles das, was eigentlich die Zeit ausgemacht hat, ist nicht mehr vorhanden, weil die Leute auch aufgeräumt haben auf eine gewisse Art und Weise.“
Es sind so einige Fragezeichen, die nach dem Besuch des Graevenitz-Museums am Stuttgarter Schloß Solitude zurückbleiben. Höchste Zeit, aus dem idyllischen Dornröschenschlaf aufzuwachen.