Die "Tunisreise"

Der Künstler August Macke in Nordafrika

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Martina Conrad
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Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Wissen. (Foto: SWR, Christian Koch)

SWR2 Wissen. Von Martina Conrad

Im Frühjahr 1914 reist der Künstler August Macke mit Paul Klee und Louis Moilliet nach Tunesien. Die leuchtenden Bilder, die dort entstehen gelten als Klassiker der Moderne.

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Gemeinsam tauchen die drei Künstler in eine faszinierend fremde Welt ein. Die orientalische Architektur, die Souks, das Licht und die Farben versetzen die Maler in einen wahren Schaffensrausch. Für den 27-jährigen August Macke sind diese zwei märchenhaften Wochen in Tunesien der Höhepunkt seines Lebens - und seiner künstlerischen Arbeit. Nur kurze Zeit später, am 26. September 1914, fällt er als Soldat im Ersten Weltkrieg. Die leuchtenden Bilder der "Tunisreise" gelten als Klassiker der Moderne, und ihre Strahlkraft fasziniert die Menschen bis heute.

"Wir liegen in der Sonne, essen Spargel. Dabei kann man sich umdrehen und hat Tausende von Motiven. Ich habe heute schon sicher 50 Skizzen gemacht. Gestern 25. Es geht wie der Teufel und ich bin in einer Arbeitsfreude, wie ich sie nie gekannt habe. Die afrikanische Landschaft ist noch viel schöner als die Provence!"

Der Maler August Macke verbrachte im Frühjahr 1914 gemeinsam mit Paul Klee und Louis Moilliet zwei Wochen in Nordafrika. Die drei Künstler wurden zu Meisterwerken inspiriert: Die "Tunisreise" ist als fester Begriff in die Kunstgeschichte eingegangen.

Der Zauber Nordafrikas

Anfang April 1914 gehen die Künstlerfreunde an Bord der "Carthage". Am 7. April 1914 läuft die Fähre in den Hafen von Tunis ein.

Die drei Künstler tauchen ein in ein Land, das für Europäer damals voller Geheimnisse und Wunder ist: die arabische Sprache und der Ruf des Muezzins, die Berber in ihren langen traditionellen Gewändern, die Dromedare als Lasttiere und die enge Medina, die Altstadt. Unmittelbar an der mittelalterlichen Stadtmauer bezieht man Quartier.

August Macke aquarelliert Ansichten der Stadt und schemenhafte Figuren in Berbertracht mit roten Gewändern, Fez oder Turban. Die ersten Tunis-Bilder zeigen den lichten blauen Himmel, schlichte Architekturformen und lebhafte Menschen. Es sind nicht die großartigen Moscheen, nicht die Baudenkmäler aus griechischen und römischen Zeiten oder die Kunst der Berber, die August Macke interessieren. Er hält die Menschen und ihre alltägliche Umgebung fest, mit Fotoapparat, Skizzenbuch und Aquarellpinsel. Die Ölfarben hat er diesmal zuhause gelassen.

Im Rausch der Bilder

Nach ein paar Tagen in Tunis ziehen Macke, Klee und Moilliet in das Landhaus eines Schweizer Freundes, Dr. Jäggi. Es liegt am Golf von Tunis, im Villenviertel St. Germain. Moilliet faulenzt dort und lässt seine Eindrücke im Geist Revue passieren; Klee arbeitet ab und an. August Macke hingegen ist in einem richtigen Rausch, fertigt Skizze um Skizze.

Er hält fest, was er sieht: Die Terrasse des Hauses, den Blick aus dem Fenster, kleine, kubische hellgelbe Häuser mit roten Ziegeldächern, davor ein strahlend blauer Fensterladen, dahinter die Andeutung von grauen Bergen.

Auffallend ist, dass August Macke seine Bilder flächig anlegt. Es dominieren Mosaike aus Farben und Formen, die Perspektive ist nebensächlich. Der Maler empfindet die Farben Tunesiens, wie er schreibt, „so bunt und dabei so klar wie ein Kirchenfenster.“

Licht und "Exotik"

Das besondere Licht, aber auch der Reiz des "Exotischen" lockten schon früher zahlreiche Künstler nach Nordafrika. Inspiriert von der ersten französischen Übersetzung der Geschichten von "Tausendundeine Nacht" am Anfang des 18. Jahrhunderts waren es zuerst französische Künstler - etwa Eugène Delacroix - die Marokko und Ägypten bereisten. Auch der deutsche Impressionist Max Slevogt war fasziniert von der Weite der ägyptischen Wüste, den Pyramiden und dem unendlichen Himmel. Claude Monet und Auguste Renoir besuchten Algerien, Gabriele Münter und Wassily Kandinsky waren 1905 in Tunesien. Wahrscheinlich entstand die Idee zur Tunisreise durch eben diese Freunde der Künstlergruppe "Der blaue Reiter".

Der Ruf der Ferne

Sehnsucht nach der weiten Welt hatte August Macke schon immer. 1887 in Meschede im Hochsauerland geboren, besuchte er zunächst die Königliche Kunstakademie in Düsseldorf. Doch das Akademische war ihm zu starr und fremd. Lieber belegte er Kurse an der Düsseldorfer Kunstgewerbeschule, entwarf Bühnendekorationen und Kostüme für Theateraufführungen. Das Fernweh zog ihn in die Niederlande, nach Belgien, Frankreich, Italien und in die Schweiz, überall sammelte er Eindrücke.

Knapp 14 Tage reisen Klee, Macke und Moilliet durch Tunesien, besuchen nach Tunis auch Kairouan und Hammamet.

Sie tauchen zwar in das tägliche Leben ein, bleiben aber Touristen, malen und fotografieren mit dem europäischen Blick - wie viele vor ihnen. Gerade zu Beginn des 20. Jahrhunderts suchten europäische Künstler im Orient nach dem vermeintlich Ursprünglichen, nach einer paradiesischen Gegenwelt zur Industrialisierung und Verstädterung des Okzidents.

Phantasie und Wirklichkeit

Auch für Macke trifft in Tunis Projektion auf Wirklichkeit, so Kunsthistoriker Volker Adolfs vom Kunstmuseum Bonn:

"In seiner Bildwelt gibt es ja den Bereich des Exotischen, des Orientalischen, des Türkischen usw. Er war ja auch am Theater, am Zirkus, am Tanz interessiert: an allen Teilen, die die Buntheit der Welt steigerten, die die Fülle der Welt wiederspiegelten. Das Orientalische ist auch Fantasiewelt, und das ist eine völlig andere Welt als die, der er jetzt in Tunesien begegnet. Vielleicht war auch der Impuls, das mal zu sehen, was er sich immer vorgestellt hatte. Aber das sind motivisch gar nicht mehr vergleichbare Bilder. Da trifft er auf die Wirklichkeit, und das ist eine andere, die sich jetzt nicht deckt mit seinen frühen orientalischen Phantasien."

Die Kunst der Abstraktion

Dennoch sind die Bilder der "Tunisreise" einmalig. Sie unterscheiden sich sowohl von der Orientmalerei des 19. Jahrhunderts, als auch von den Bildern, die Slevogt oder Kandinskys aus Ägypten und Tunesien mitbrachten. Macke und Klee widersetzen sich jeder traditionellen Malerei. Sie orientieren sich an modernen Tendenzen wie Kubismus und Expressionismus, vereinfachen und abstrahieren.

Und die zwei Künstler beeinflussen sich gegenseitig: Paul Klee, der bis dahin vor allem als Grafiker tätig war, entdeckt die Farbe und setzt seine Stadtansichten aus bunten, leuchtenden Quadraten zusammen. Er zeichnet und aquarelliert in blau, gelb und rot die schlanken Türme von Moscheen und braune abstrahierte Dromedare, wie man sie auch auf tunesischen Teppichen sieht. In Klees Tagebuch findet sich die berühmte Notiz:

"Die Farbe hat mich, ich brauche nicht nach ihr zu haschen. Sie hat mich für immer, ich weiss das. Das ist der glücklichen Stunde Sinn: ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler."

Schöpferischer Höhepunkt und Tod als Soldat

Die Tunisreise ist für alle ein Erfolg. Louis Moillet kommt mit 14 Arbeiten nach Hause, Paul Klee mit 48 Aquarellen und Zeichnungen. August Macke hat 33 Aquarelle, 79 Zeichnungen und die Fotografien im Gepäck.

Für August Macke waren diese traumhaften Tage in Nordafrika der Höhepunkt seines Lebens und seines künstlerischen Schaffens. Wenige Wochen nach seiner Rückkehr musste er als Soldat in den 1.Weltkrieg ziehen. Am 26. September 1914 fiel er in der Champagne.