Auf dem Spinelli-Gelände der Bundesgartenschau in Mannheim sind die vielleicht größten Cyanotypien der Welt zu sehen: Über 100 umweltfreundlich erzeugte Lichtbilder in tiefen Blautönen, darunter haushohe Banner. „Es ist ein Experiment“, sagt Kurator Nicolas Reinhart, „wir wissen nicht, ob am Ende der BUGA noch etwas von den Bildern übrig ist.“
Flatternde Stoffbahnen begrüßen die BUGA-Besucher
Das Mannheimer Spinelli-Gelände mit seinem Eingang zur Bundesgartenschau liegt fernab von jedem Stadttrubel. Ein Hauch surrealer Einsamkeit umweht die alten, leerstehenden Kasernen, vor allem zwei der mächtigen Blocks, die aussehen, als hätten sie sich zurecht gemacht für eine Filmszene von Frederico Fellini oder Peter Greenaway.
Vor sämtlichen Fenstern hängen lose Stoffbahnen mit unregelmäßigen, blauweißen Mustern, und bei jedem Windhauch zittern und flattern diese Vorhänge wie eine zappelige Anarchotruppe in Preußisch Blau.
„Das sind insgesamt 120 kleine Stoffbahnen und vier große Stoffbahnen“, erklärt Projektleiterin Maira Wiener von der Biennale für aktuelle Fotografie, „und das nur auf der Vorderseite der Kaserne. Auf der hinteren Seite gibt es noch weitere die mit Besucherinnen der Bundesgartenschau produziert wurden.“

Einfache chemische Reaktionen sorgen für blaue Farbenpracht
Dass es sich bei der blau-weißen Vorhangparade überhaupt um Fotografie handelt, das erkennt quasi niemand, hat Maira Wiener nun schon häufig beobachtet: „Oft stößt es auf Überraschung und ein Staunen und klar, sofort die Frage: Was ist das denn?“
Zum Einsatz kam die Cyanotypie, ein ganz besonderes fotografischen Verfahren: Zwei preiswerte, ungiftige Chemikalien, mit Wasser angerührt, ergeben eine lichtempfindliche Emulsion. Damit kann man Bildträger bestreichen, zum Beispiel Papier oder Textilien. UV-Strahlung, etwa im Sonnenlicht, bewirkt eine intensive Blaufärbung, Schatten-Partien bleiben hell.
Fixiert wird das Ganze am Ende mit Wasser: Es ist eine wundersame Hexenküche der Lichtbildnerei, ökologisch aber so harmlos wie die Streiche von Bibi Blocksberg.
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Endspurt in Mannheim: Für die BUGA 23 sind die letzten vorherbstlichen Wochen angebrochen. Mit insgesamt 106 Hektar Ausstellungsfläche im Luisenpark und dem neu angelegten Spinelli-Park präsentiert die Quadratestadt die flächenmäßig zweitgrößte Bundesgartenschau aller Zeiten. Doch was geschieht mit den Grünflächen, wenn am 8. Oktober Schluss ist? Ein Ausblick.
Cyanotypie: das älteste Foto-Verfahren der Welt
„Wir geben immer noch ein klein bisschen Säure dazu, weil auch in Mannheim das Wasser sehr kalkhaltig ist. Dann hat man ein bisschen mehr Zwischentöne“, erklärt die Künstlerin Carolin Lange, die das Mannheimer Projekt zusammen mit ihrem niederländischen Arbeitspartner Dico Kruijsse realisiert hat.
Der ökologische Aspekt passt zum Nachhaltigkeits-Anspruch der Bundesgartenschau, ebenso wie die kunsthistorische Tradition: Aus Cyanotypien entstand 1843 das allererste Fotobuch der Welt, passenderweise mit lauter Abbildungen von Blättern, Blüten und Pflanzen.
Auch Carolin Lange und Dico Kruijsse thematisieren in Mannheim das Thema Natur und Vegetation. In Hecken, auf Feldern und in Parks hatten sie ihre lichtempfindlichen Tücher platziert, Baumstämme damit eingewickelt, in Baumkronen mit Wäscheklammern festgesteckt – und dann die Sonne ihr Werk tun lassen.

„Jeder Tag war auch anders“
Zwei Monate, von Februar bis März, haben die Künstlerin und ihr Partner die Cyanotypien belichtet. „Wir waren jeden Tag draußen und haben an jedem Tag verschiedene Aufnahmen gemacht. Und jeder Tag war auch anders“, erklärt Carolin Lange. An einem Regentag etwa, ohne direktes Sonnenlicht, zeichne sich nicht viel ab, aber es entwickele sich ein tiefes, starkes Blau.
Die Unendlichkeitsfarbe leuchtet nun aus den 120 Fenstern der beiden Kasernenblocks, vor allem aber von vier Riesenbannern, die haushoch vor den Treppenaufgängen wehen.
Stellt man sich direkt darunter und blickt nach oben, erscheinen diese vielleicht größten Cyanotyopien der Welt wie riesige Segel in den Farben des Himmels, schwärmt Projektkurator Nicolas Reinhart: „Es gibt immer einen Windstoß, es gibt immer ein Banner, der irgendwie hoch geweht wird, es gibt immer einen Teil, der vielleicht gerade nicht sichtbar ist.“

Vergleichbare Projekte gibt es nicht
Anders gesagt: Diese Lichtbildkunst lebt. Und wie alles Lebendige, so trägt auch das blaue Leuchten der Kasernenfenster von Mannheim seine Vergänglichkeit bereits in sich.
„Wir wissen nicht, wie diese Arbeit nach einem halben Jahr Laufzeit der Bundesgartenschau aussehen wird“, so Kurator Reinhardt. „Wir können euch nicht versichern, dass auch nur noch ein Quadratzentimeter Stoff übrig sein wird, weil vergleichbare Projekte gibt´s nicht.“
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