Connecting Stories: Kapitel 6 - Schwangerschaft / Nicht-Schwangerschaft

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Connecting Stories: Kapitel 6 - Schwangerschaft  Nicht-Schwangerschaft (Foto: ARD Kultur/ Lucie Langton, Julia Kleinbeck, Magdalena Kaszuba)
Schwangerschaft / Nicht-Schwangerschaft VI
Ich habe abgetrieben.
Ich spreche anfangs offen darüber. Viele Personen aus meinem Umfeld möchten mir nun nahelegen, was sie in meiner Lage getan hätten.
Ich finde mich schnell in Gesprächen über weitere absurden Hürden wieder und darüber, dass Abtreibende vor sich selbst geschützt werden sollten. Es wabert mir viel Misogynie entgegen.
Alle führen ihre Gedanken zu meiner Abtreibung aus. Alle dürfen das. Ich nicht. Nichts von dem, was gesagt wird, hat mit mir zu tun.
Die Projektionen schieben sich direkt zwischen mich und meine Mitmenschen. Ich bin wütend. Ich fühle mich nicht ernst genommen, ungesehen und einsam. Ist es nicht mein Körper?
Es gibt ein paar Menschen, die mich auffangen und unterstützen. Freund:innen, Fremde und auch meine Mutter. Das verhindert, dass ich in ein Loch falle.
Ich bin nun vorsichtig, wem ich von meiner Abtreibung erzähle. Ich wünsche mir aber, dass meine Entscheidung von allen respektiert wird und ich von der Gesellschaft besser aufgefangen werde, wenn ich Hilfe brauche.
Weitere Hürden und Verbote zu Schwangerschaftsabbrüchen machen mir Angst, zu sehen, was in der Welt passiert, macht mir Angst. Keine Person sollte schwanger sein müssen, die es nicht sein will.
Ich sitze im Hinterhof eines Cafés.
Mit einem Stück Vanillekuchen und einem Kaffee bin ich allein. Ich brauche Zeit für mich. Singuläre Zeit.
Ein Spatz nimmt mir gegenüber Platz. Der Raum zwischen uns scheint sich zu krümmen. Er schaut mich prüfend an. Mir ist, als wüsste er etwas.
„Ganz schön frech!“ denke ich, als der Spatz sich auf meinen Teller traut. Trotzdem lasse ich zu, dass er so viele Kuchenkrümel wie irgend möglich in seinem kleinen Schnabel sammelt.
Ich beobachte, wie der Spatz zu einem Spalt in der Mauer fliegt. Sofort höre ich die Küken schreien. Ich ertappe mich dabei wie Ich denke: „Der Spatz ist eine Spätzin.“
Meine Mutter sagte, kurz nachdem ich meine erste Regelblutung bekam: „Wir gehen zum Frauenarzt. Ich habe schon einen Termin gemacht. Der verschreibt dir dann die Pille.“
„Werde bloß nicht schwanger, das versaut dir das ganze Leben!“
Meine Mutter ist die eindrücklichste Stimme, aber nicht die einzige Person, die mir etwas zu dem Thema zu sagen hat.
Gynäkologen, Partner, Freund:innen und Fremde - zusammen ergeben sie ein erschlagendes Bild. Ich selbst bleibe allen eine Antwort schuldig.
Über die Jahre schütten viele ihre Irrbilder, Ängste und Befürchtungen in meinen Kopf. Ich bin voll mit den Gedanken der anderen.
So viel Angst ist an das Muttersein geknüpft. Gleichzeitig ist das Bild der Mutter, der Frau mit Kind, ein ständiger Begleiter.
Nie hätte ich gedacht, dass ich eines Tages in einem Café sitze und mit ambivalenten Gefühlen einer Mutter-Spätzin Kuchenkrümel reiche.
Ich spüre das Baby in meinem Bauch. Unglaublich, unbegreiflich.
Der Algoritmus weiss es vor mir.
Ich selbst führe noch immer verkopfte Analysen auf meinen Wegen und frage mich: Will ich Mutter sein?
Ja ... ?
Nein ... ?
Für ein „vielleicht“ ist es zu spät.
Auch du schwankst.
Mein Gynäkologe hingegen ist sich sicher:
„Wenn sie jetzt nicht schwanger werden - bei dieser Eizellenqualität - werden Sie es irgendwann bereuen.“ ... verkündet er entschieden. Ohne dass ich ihn danach gefragt habe.
Du bist plötzlich weg. Fortan entscheide ich allein.
Fest steht: Zum Zeitpunkt meines größten Kinderwunsches mache ich statt Schwangerschaftstest...
... Coronatests.
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SWR