Die Stadt hat keine Eile
An einer unscheinbaren, grauen Betonmauer bei der Porta Nigra erinnert eine schlichte Gedenktafel an ein Ereignis, das viele Trierer bis heute belastet. Die Amokfahrt vor rund eineinhalb Jahren. Auf der rechteckigen Steinplatte steht „Wir gedenken der betroffenen Menschen vom 1. Dezember 2020.“
Mit der eigentlichen Gedenkstätte lasse sich die Stadt bewusst Zeit. Der Trierer Oberbürgermeister Wolfram Leibe wolle den Angehörigen den Druck nehmen: „Das sind ganz unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Erwartungen und Hintergründen. Wichtig ist, dass sie Zeit haben, zueinander zu finden.“
Trierer Künstler entwickeln Ideen
Die Stadt Trier hat in Absprache mit der Hochschule drei Künstler ausgesucht, die Entwürfe für die Gedenkstätte erarbeiten. Alle stammen aus Trier oder der Umgebung. Clas Steinmann hat für die Stadt bereits ein viel beachtetes Mahnmal für Sinti und Roma geschaffen.
Alle Künstler stehen in Kontakt zu den Hinterbliebenen der Amokfahrt, entwickeln nach deren Wünschen Entwürfe. Das Ziel ist, dass sich am Ende alle Hinterbliebenen für einen Entwurf entscheiden und auch den Standort festlegen.
Entscheidend sind die Wünsche der Angehörigen
Wobei es Plätze gibt, die tabu sind, zum Beispiel direkt vor der Porta Nigra. Das verbietet deren Welterbestatus.
Die Stadt legt durch die Auswahl der Künstler fest, dass die zukünftige Gedenkstätte einen gewissen ästhetischen Anspruch hat. Alles andere überlasse man den Hinterbliebenen.
„Ich habe auch gelernt, dass man sich als Oberbürgermeister zurücknehmen muss. Natürlich habe ich eigene Ideen, natürlich bin ich in der Versuchung, meine Position deutlich zu machen. Das ist aber falsch, das gehört da nicht hin“, sagt Wolfram Leibe. An den Diskussionen nehme er zwar Teil, halte sich aber inhaltlich komplett heraus.
Ein nahezu einzigartiger Prozess
Der Trierer Weg zur Gedenkstätte sei vorbildlich und nahezu einzigartig, sagt die Gesprächstherapeutin Sybille Jatzko Sie betreut gemeinsam mit ihrem Mann Hartmut die Hinterbliebenen psychologisch, beide begleiten seit Jahrzehnten Hinterbliebene nach Katastrophen unterschiedlicher Art.
Sybille Jatzko sagt, es sei wichtig, Angehörigen die Gedenkstätten nicht einfach vorzusetzen, sondern sie ernst zu nehmen, auch in ihren ästhetischen Vorstellungen. Wenn Angehörige sich mit einer Gedenkstätte identifizieren können, würde das dem Ort eine Seele geben.
Sybille und Hartmut Jatzko sind optimistisch, dass sich die Hinterbliebenen der Amokfahrt auf einen Entwurf einigen werden. Wann das sein wird, sei noch nicht absehbar. Ein Prozess mit so offenem Ausgang, das würden viele Städte nicht aushalten, sagen die Therapeuten. Umso dankbarer seien die Hinterbliebenen in Trier, dass die Stadt diesen langwierigen Weg zur Gedenkstätte mit ihnen gehe.