Hanno Rauterberg über seinen Essay "Wie frei ist die Kunst?

Angst lässt Kunstfreiheit "suspekt erscheinen"

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Der neue Kulturkampf und die Krise des Liberalismus

Bilder werden abgehängt, Ausstellungen abgesagt, Gedichte übermalt und Künstler verfemt, weil sich nicht ins Schema der „political correctness“ passen. „Wie frei ist die Kunst?“, fragt Zeit-Autor Hanno Rauterberg in seinem Essay, das jetzt bei Suhrkamp erschienen ist.

Eine Art „Zensur von unten“ gegen die Kunstfreiheit beobachtet Hanno Rauterberg vor allem im Internet. Hier würde beispielweise über Petitionen gefordert, Bilder abzuhängen. Dies ist für Rauterberg jedoch keine „Kulturbarbarei“, da es sich hier nicht um eine systematische und institutionelle Verfolgung wie in illiberalen Gesellschaften handele.

Unsicherheit und Angst führen zu Abwehr

Vielmehr gebe es eine Angst vor der Vielstimmigkeit der Kunst, vor den Verunsicherungen, die die Kunst ja eigentlich immer auslösen sollte. Das war ja das Programm der Moderne, sie sollte uns provozieren, aus den gewohnten Gefilden entführen. Vielen, die ohnehin ein unsicheres Leben führen, das Gefühl haben, es gibt nur noch Mikrowahrheiten, die jeder zu einem großen Mosaik selber zusammenbauen muss, erscheint Kunst und ihre Freiheit heute jedoch seltsam suspekt.

Regime der unguten Gefühle

Die Studenten in Berlin, die forderten, das Gedicht von Gomringer an ihrer Hochschule zu entfernen, hätten eigentlich nichts gegen das Gedicht, sondern gegen die Gefühle, es bei Ihnen auslöse. "In ihrer Petion war mehrmals von Angst die Rede", so Rauerbach. "Deswegen spreche ich in meinem Essay auch vom 'Regime der unguten Gefühle'“.

hh

Wert der „political correctness“

Die Fassade der Alice Salomon Hochschule, aufgenommen am 13.11.2017 in Berlin. (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa -)
Fassade der Alice Salomon Hochschule mit dem Gedicht "Avenidas" von Eugen Gomringer.

Für die politischen Rechte ist die Agitation gegen die sogenannte „political correctness“ ein zentrales Thema. Dagegen sieht Rauterberg durchaus Positives in dem Begriff: Mit „political correctness“, könne auch „Anstand“ oder eine "Form des guten und rücksichtvollen Umgangs“ gemeint sein.

Das Problematische der „Überkorrektheit“

Problematisch sei dagegen die politische „Überkorrektheit“, "wenn Leute meinen, sich systematisch und moralisch über andere erheben zu müssen, erziehen zu müssen".
Während eine sich als progressiv verstehende Seite gegen die „Zumutungen der Kunst“ agitierte, behaupte das rechtsextreme Milieu, die Kunst müsse alles dürfen, sie müsse so sein wie Donald Trump, der sich alle herausnimmt. Da verschöben sich plötzlich auf ganz ungute Weise die Fronten.
 

Heutige Vorstellungen nicht auf die Vergangenheit übertragen

Natürlich gibt es auch für Rauterberg "problematische Kunstwerke", die etwa ein Frauenbild transportierten, dass heute unangenehm sei. Die Frage ist für ihn nur, wie man man mit so einem historischen Erbe umgehe. Der Versuch, rückwirkend die moralischen Vorstellungen auf die Vergangenheit zu übertragen, geht ihm entscheiden zu weit, denn die Vergangenheit sei ja eigentlich "ein Korrektiv für uns heutige", die Fragen auslöse und einen Kunstbesuch so spannend mache.

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