Kritik an der Modewelt

„Anti Fashion“ der US-Fotografin Cindy Sherman in der Stuttgarter Staatsgalerie

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AUTOR/IN
Tobias Ignée

Cindy Sherman zählt zu den wichtigsten Künstlerinnen der Gegenwart und ihre Werke werden zu Höchstpreisen gehandelt. Die US-amerikanische Fotografin setzt sich in ihren Arbeiten mit Rollenbildern und Identitäten auseinander und inszeniert sich dabei immer wieder selbst. Die Ausstellung in Stuttgart zeigt – in enger Zusammenarbeit mit der Künstlerin – erstmals ausschließlich die kritische Auseinandersetzung Shermans mit der Modewelt.

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Das Gegenteil von Glamour, Sexappeal und Eleganz

Die Fotografien von Cindy Sherman haben so gar nichts vom Glamour, Sexappeal und Eleganz der Modewelt, und genau darum geht es der Künstlerin in ihren provokanten Inszenierungen.

Es ist eine Art Hassliebe, die Cindy Sherman seit jeher mit der Mode verbindet. Als Kind schlüpfte sie in Kleider aus den 20er Jahren, die sie von ihrer Großmutter bekam und entdeckte die Macht der Verkleidung, die sich durch ihr gesamtes künstlerisches Werk zieht.

Shermans Kritik der Modewelt stieß anfangs auf Ablehnung

Während Shermans kritische Auseinandersetzung mit der Modewelt anfangs der 80er Jahre oft auf Ablehnung stieß, ja sogar als geschäftsschädigend empfunden wurde, wandte sich das Blatt mit zunehmender Popularität der Künstlerin. Und als ihr in den 90er Jahren Designerinnen und Designer für Werbekampagnen Kollektionen zur Verfügung stellten, war das eine Steilvorlage für Sherman.

Cindy Sherman Untitled #462 20072008 (Foto: Pressestelle, Cindy Sherman)
Cindy Sherman, Untitled #462 2007/2008, Privatsammlung Europa Bild in Detailansicht öffnen
Cindy Sherman Untitled #133 1984 (Foto: Pressestelle, Cindy Sherman)
Cindy Sherman, Untitled #133 1984, Staatsgalerie Stuttgart Bild in Detailansicht öffnen
Cindy Sherman Untitled #410 2003 (Foto: Pressestelle, Cindy Sherman)
Cindy Sherman, Untitled #410, 2003, Privatbesitz Bild in Detailansicht öffnen
Cindy Sherman Untitled #588 20162018, Genehmigt von der Künstlerin, Hauser & Wirth und Sprueth Magers (Foto: Pressestelle, Cindy Shermann)
Cindy Sherman, Untitled #588 2016/2018, Genehmigt von der Künstlerin, Hauser & Wirth und Sprueth Magers Bild in Detailansicht öffnen
Cindy Sherman Untitled #602 2019, Sammlung Gilles Renaud (Foto: Pressestelle, Cindy Sherman)
Cindy Sherman Untitled #602 2019, Sammlung Gilles Renaud Bild in Detailansicht öffnen

„Der Auslöser, vor allem in den 80er Jahren, waren für sie diese überdünnen mageren Models in den Fashion-Fotos. Sie stießen sie einfach ab und sie wirkten für sie einfach anormal. Und dieses Gefühl von bizarr, grotesk, sogar Hässlichkeit wollte sie auch in ihren ursprünglichen Modebildern transportieren.“ 

Cindy Sherman Untitled #410 2003 (Foto: Pressestelle, Cindy Sherman)
Cindy Sherman Untitled #410 2003 Privatbesitz

 Clown im Designerkostüm – Die Mode wird zur Verkleidung

Während Sherman bei ihren frühen Fotos meist analog arbeitete, bedient sie sich von Beginn der 2000er Jahre an vermehrt der digitalen Bildbearbeitung. Als Clown im Designerkostüm steht sie vor psychedelischen bunten Hintergründen, das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit geschminkt, aggressiv und fratzenhaft verfremdet, lugt unter einer pinkfarbenen Perücke hervor.

Die Mode wird zur Verkleidung, der Körper zur Kunstfigur. Auf die Spitze treibt Sherman ihr Spiel mit dem Modezirkus, indem sie sich ab 2010 seiner Mittel bedient: vor verfremdeten Landschaftsaufnahmen der Inseln Stromboli oder Island posiert sie in Chanel-Kleidern, das Gesicht ist mit Photoshop nachbearbeitet.

Cindy Sherman Untitled #602 2019, Sammlung Gilles Renaud (Foto: Pressestelle, Cindy Sherman)
Cindy Sherman Untitled #602 2019, Sammlung Gilles Renaud

Genderfluidität und Unisex –Cindy Sherman in Männerrollen

In ihren jüngsten Arbeiten, der Serie „Men“, die erstmals in Deutschland zu sehen ist, schlüpft Cindy Sherman sogar in Männerrollen und lässt dabei männliche und weibliche Merkmale miteinander verschmelzen.

„Sherman konfrontiert uns mit einer Männlichkeit, die eigentlich sehr androgyn erscheint und so alle tradierten Vorstellungen von Maskulinität in Frage stellt. Die Outfits, die die Männer tragen, spielen auf diese Idee von Genderfluidität und Unisexprodukten an, die eine immer wichtigere Rolle in dem aktuellen Kunstmarkt spielen.“ 

Nachdenken über Schönheitswahn und Zwang zur Selbstoptimierung

Anti-Fashion in der Staatsgalerie Stuttgart, ein humorvolles, provozierendes und beeindruckendes Spiel mit Identitäten und Stereotypen, in dem die Fotokünstlerin uns einmal mehr den Zerrspiegel vorhält. Und zum Nachdenken anregt über Schönheitswahn, Selbstoptimierung und darüber, dass es eben nicht immer Kleider sind, die Leute machen.

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Tobias Ignée