Karl-Sczuka-Preis 2022

Jan Jelinek: Überwachung – in drei Episoden

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AUTOR/IN
Jan Jelinek

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In drei Episoden wird jeweils ein historisches Abhör-/Warnsystem vorgestellt: die antike Kalksteinhöhle der sizilianischen Stadt Syrakus, deren einzigartige Akustik ein tief in der Höhle geflüstertes Wort noch am Höhleneingang deutlich hörbar machte; der sogenannte "Nachtigallenboden" japanischer Tempelanlagen, bei dessen Betreten ein verräterisches Geräusch entstand; und die "Sound Mirrors" entlang der englischen Küste, die in den 1920er-Jahren der akustischen Ortung von Flugzeugen dienten.

Allen gemeinsam ist ihre lokale Gebundenheit: Sie sind geprägt von der Architektur ihres Standorts oder prägten ihrerseits eine für ihre Funktion optimierte Architektur. Sie alle sind außer Betrieb, dennoch öffentlich zugänglich und werden akustisch von ihren Besuchern gestaltet: Reisegruppen, die sich durch schmale Gänge zwängen und Warnsignale spielerisch heraufbeschwören; Schulklassen, die sich pfeifend und klatschend durch große Hallräume lotsen. Indem das Hörstück diese Orte mikrofoniert und aufzeichnet, übernimmt es nicht nur die Rolle des klanglichen Kartographen, sondern auch die des soziologischen Beobachters: Zu hören ist die Eigenheit der Orte, aber auch die Reaktion ihrer Besucher.

Jan Jelinek verwebt aktuelle Field-Recordings zu klangkompositorischen Collagen, zu akustischen Porträts von Ort und Publikum.

Erste Episode: Orecchio di Dionisio

Die in der Antike angelegte Kalksteinhöhle in der Sizilianischen Stadt Syrakus verfügt über eine außergewöhnliche Akustik: Ein tief in der Höhle geflüstertes Wort wird am Höhleneingang verstanden. Der Maler Michelangelo da Caravaggio berichtet, dass der Tyrann Dionysios I. hier seine politischen Gefangenen einkerkern ließ, um sie mit Hilfe der Höhlenakustik abhören zu können.

Zweite Episode: Uguisubari

Uguisubari sind klingende Dielenböden in japanischen Tempel- und Burganlagen. In der Edo Zeit war der Nachtigallboden (wörtliche Übersetzung) ein weit verbreitetes akustisches Warnsystem: Beim Betreten der Dielen rieben Dielennägel an Metallklammern, die auf der Unterseite des Bodens montiert waren. Es entstand ein verräterisch-quietschendes Geräusch, das dem Zirpen der Japanischen Nachtigall ähnelte.

Dritte Episode: Sound Mirrors

Sound Mirrors sind eine frühe Form von Hohlspiegelmikrofonen, die in den 1920er Jahren an der Südenglischen Küste konstruiert worden sind. Die brutalistischanmutenden Betonbauten haben die Form von Parabolspiegeln und sind bis zu 70 Meter breit. Sie dienten zur akustischen Erspähung von Luftschiffen und Flugzeugen. Bedingt durch den Covid-Lockdown, konnte der Autor vor Ort nicht aufnehmen – als Klangdokumente wurden Youtube-Filme genutzt, in welchen Besucher die Sound Mirrors begehen und/oder mit Drohnen erkunden.

Komposition und Realisation: der Autor
(Produktion: SWR 2021)
Gefördert durch das Recherchestipendium für Ernste Musik und Klangkunst

Werkstattgespräch mit Jan Jelinek

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Begründung der Jury

"In seiner Komposition entfaltet der Autor einen atmosphärisch dichten Geräuschkosmos vielbezüglicher Raumsituationen aus der Perspektive der in ihnen sich bewegenden Menschen. Die mehrschichtige Textur seines Hörstücks entfaltet dabei einen subtilen Groove, der sich sowohl aus der Klanglichkeit der Räume selbst als auch aus den akustischen Reaktionen der Besucherinnen und Besucher speist. Die buchstäbliche Doppelbödigkeit des Themas Überwachung spiegelt sich in der Ambivalenz einer scheinbar perfekt arrangierten Klanglandschaft."

Gespräch mit dem Jury-Vorsitzenden Olaf Nicolai

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Zum 61. Mal wird der Karl-Sczuka-Preis vergeben

In diesem Jahr wurden 109 Wettbewerbsbeiträge aus 31 Ländern eingereicht. Über die Preisträger hat am Donnerstag, den 23. Juni 2022, in Baden-Baden eine unabhängige Jury unter Vorsitz des bildenden Künstlers Olaf Nicolai entschieden. Weitere Jurymitglieder waren Inke Arns, Julia Cloot, Michael Grote und Thomas Meinecke.

Der Preisträger

Karl-Sczuka-Preisträger 2022: Jan Jelinek  (Foto: Pressestelle, Frank Schemmann)
Karl-Sczuka-Preisträger 2022: Jan Jelinek

Jan Jelinek, geboren 1971 in Bad Hersfeld. 1998 erste Tonträgerveröffentlichung unter dem Pseudonym Farben. Seit 2008 diverse Tonträgerveröffentlichungen, Ausstellungen und Buchveröffentlichung der fiktiven Künstlerin Ursula Bogner.

Für die Audiocollage „Kennen Sie Otahiti?“ (SWR 2012) erhielt er den Karl-Sczuka-Förderpreis 2012. Zuletzt entstand das Hörstück „Vom Rohen und Gekochten“ (SWR 2020). Im Jahre 2021 erhielt Jelinek ein Recherchestipendium für Ernste Musik und Klangkunst für sein Hörstück „Überwachung – in drei Episoden“.

Hörspiel Karl-Sczuka-Preis 2022

Die Programmdirektorin Kultur, Wissen, Junge Formate des SWR Anke Mai verlieh den Karl-Sczuka-Preis für Hörspiel als Radiokunst an Jan Jelinek für sein Hörstück "Überwachung - in drei Episoden" und das Karl-Sczuka-Recherchestipendium in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut an eine Zusammenarbeit des RHO-Kollektivs mit dem Vokalensemble Γλώσσα (Glossa) für ihr Hörstück CHOLERA – I THOUGHT I SHOULD NEVER SPEAK AGAIN.

Donaueschinger Musiktage SWR2

Karl-Sczuka-Förderpreis 2022 Ira Hadžić: Heimatgefühle – Sprachkomposition mit Akzenten

7 Stimmen sprechen denselben Text. Jede hat einen anderen Akzent. Aus den klanglichen Differenzen komponiert Ira Hadžić ein Hörstück über die Grenzen von Sprache und deren Auflösung.

Karl-Sczuka-Recherchestipendium RHO & Γλώσσα (Glossa): CHOLERA – I THOUGHT I SHOULD NEVER SPEAK AGAIN

Ein Wechselspiele von Außen und Innen – von körperlichen, architektonischen und immer auch klanglichen Räumen – prägen das Hörstück CHOLERA – I THOUGHT I SHOULD NEVER SPEAK AGAIN.

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Jan Jelinek