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Palma Ars Acustica

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Die fünf Finalisten aus dem Klangkunst-Wettbewerb der EBU

Seit 10 Jahren vergibt die Ars Acustica Group der European Broadcasting Union (EBU) jährlich den Palma Ars Acustica - ein internationaler Wettbewerb, der herausragende Produktionen aus den Bereichen der Radiokunst, Klangkunst, Medienkunst, Text-Klangkomposition, elektroakustischen Musik, Elektronik und Live Elektronik auszeichnet. Wir präsentieren die fünf Finalisten.

Am 16.Juni 2023 tagte die Jury auf Einladung des Kroatischen Rundfunks in Zagreb und vergab die Auszeichnung an das Werk "Silent Roof" von Ondrej Kalužák, eine Produktion des Tschechischen Rundfunks.

Ondrej Kalužák (Gewinner des EBU Palma Ars Acustica 2023)  (Foto: Áša Sárová)
Ondrej Kalužák (Gewinner des EBU Palma Ars Acustica 2023)

Silent Roof

elektroakustische Komposition von Ondrej Kalužák
Text: Kateřina Minaříková und Ondrej Kalužák
Stimme: Kateřina Minaříková
Komposition und Realisation: Ondrej Kalužák
Produktion: R{A}DIO{CUSTICA}, Czech Radio Vltava 2022

Die Jury des Palma Ars Acustica äußerte sich wie folgt zu dem prämierten Werk:

"Das Werk entführt uns in ein künstliches Universum, und zwar auf so natürliche Art und Weise, dass der Hörer sich dessen fast nicht bewusst ist und spielerisch durch die mikroskopischen Klänge einer imaginären Blaskapelle geführt wird."

Die Jury hob den raffinierten Dialog zwischen dem Spiel, das von der erzeugten Stimme im Stück angeregt wird, und dem ausgeklügelten Klanguniversum hervor, das während der 36 Minuten des Werks eine großartige Entwicklung bietet. Die Stimme jongliert dabei zwischen Humor und strengen Befehlen.

Der Komponist Ondrej Kalužák schreibt zu seinem Werk:

Silent Roof ist eine elektroakustische Komposition, die aus fünf Bewegungen besteht, die den Hörenden durch ein vierstöckiges Haus führen. Die einzelnen Bewegungen stehen für die jeweiligen Stockwerke, in denen der Hörende Informationen und Anweisungen von einer computergenerierten Stimme erhält. Die Räumlichkeiten des Hauses sollen die Online-Umgebung und insbesondere die sozialen Medien repräsentieren und Gefühle der Verwirrung, Unsicherheit, Sinnlosigkeit und Hilflosigkeit hervorrufen. Die Komposition verwendet eine breite Palette von Klangfarben, Synthesizern und virtuellen Instrumenten, um den Eindruck der Vielfalt und des Chaos der Internet-Welt zu vermitteln.

Die Komposition wurde mit der Software Ableton Live in Kombination mit einer Reihe von kompositorischen Max/MSP-Patches erstellt, um rhythmische Strukturen zu erzeugen und eine Spektralanalyse der Stimme durchzuführen. Die gewonnenen Daten werden dann dazu verwendet, um pseudo-orchestrale Teile und Resonanzeffekte zu erzeugen.

Aufgrund der Verwendung von HRTF-Filtern für binaurales Audio wird das Hören mit Kopfhörern empfohlen.

Eine besondere Erwähnung sprach die Jury dem von Deutschlandradio Kultur eingereichten Projekt "Temporary Stored" (Klang als Raubkunst) von Joseph Kamaru zu.

Sie heben den besonderen Wert des Ansatzes von Kamaru als Klangkünstler hervor, der unsere europäisch geprägte Position im Bereich des Klangs in Frage stellt. Sie waren beeindruckt von der Art und Weise, wie Kamaru die Essenz des Audio-Archivs des Königlichen Museums für Zentralafrika in Belgien eingefangen hat.

Temporary Stored

Klangkünstler Joseph Kamaru (Foto: Isabelle-Stachtchenko)
Klangkünstler Joseph Kamaru

Hörstück von Joseph Kameru
Komposition und Realisation: der Autor
Produktion: Deutschlandfunk Kultur 2022

Die Restitution von geraubten Kunstobjekten sorgt für heiße Debatten in der europäischen Museumslandschaft. Ebenso drängend ist aber die Frage nach dem Umgang mit immateriellem Erbe. Für den Klangkünstler Joseph Kamaru spielen Sounds dabei eine zentrale Rolle: Von Generation zu Generation weitergegeben stellen sie eine Verbindung her zwischen Vergangenheit und Zukunft.

In "Temporary Stored" hinterfragt Kamaru die Bedeutung von Klangarchiven für die Geschichte kolonialer Gewalt. Mit Synthesizer-Klängen, Field Recordings und Aufnahmen aus dem Archiv des Königlichen Museums für Zentralafrika in Tervuren arbeitet er an der Wiederaneignung der geraubten Sounds.

WorkArtLite

Grafik von WorkArtLite (Foto: Buttress O'Kneel)
Grafik von WorkArtLite

Plunderphonic-Collage von Buttress O' Kneel
Komposition und Realisation: die Autorin
Produktion: ORF Kunstradio 2022

"WorkArtLite" ist eine Plunderphonic-Collage über den 9-to-5 Arbeitstag – 22 Stunden komprimiert auf 25 Minuten, verspricht die australische Künstlerin Buttress O’Kneel ein leicht konsumierbares, aalglattes, aerodynamisches Hör-Erlebnis, das mühelos während der Schreibtischarbeit genossen werden kann, oder auch als after-work-Snack daheim auf dem Sofa. Ein rasantes Work-out für die Ohren sozusagen.

Droneland

Projekt "Doneland" von Adina Camhy und Katrin Euller (Foto: Adina Camhy)
Projekt "Doneland" von Adina Camhy und Katrin Euller

Hörstück von Adina Camhy und Katrin Euller
Stimme: Adina Camhy
Komposition und Realisation: die Autorinnen
Produktion: ORF Kunstradio 2022

Die beiden Soundkünstlerinnen Adina Camhy und Katrin Euller durchwegen für ihr Stück "Droneland" gemeinsam Landschaften der südöstlichen Peripherie Wiens – ein scheinbares Niemandsland zwischen Lobau, Donau, Ölhafen, Logistikzentrum, Friedhof und Raffinerie.

Wie klingt die Landschaft am Rand der Großstadt? Welche Geschichte trifft hier auf welche möglichen Zukünfte? Gibt es einen Ausweg aus der kapitalistischen Realität?

Aus Fieldrecordings, Synthesizerklängen und Spoken Word entsteht ein Mikroportrait einer Landschaft am Rand.

"Droneland" nimmt Bezug auf das Audio-Essay "On Vanishing Land" der Theoretiker und Soundkünstler Mark Fisher und Justin Barton (Hyperdub, 2019), die darin an eine Wanderung entlang der Küste von Suffollk erinnern.

Die relative Kunst der Unfuge

Hörspiel von Martin und Peter Brandlmayr
Komposition und Realisation: die Autoren
Produktion: Südwestrundfunk und ORF Kunstradio 2020

In diesem Hörspiel haben sich Martin und Peter Brandlmayr mit der Frage beschäftigt, inwieweit sich in einer relativ verfassten Welt die Dinge ordnen und regeln lassen und also eine finale Sicherheit erreicht werden kann. Sie schreiben weiter: Auch wenn wir traditionell darauf bauen, die Dinge klar und sicher zu stellen, so gibt es doch nichts, das sich vollkommen unterzuordnen weiß. Man möge nur versuchen, etwas für alle Zeiten festzunageln und also probieren sich dem fundamentalen Prinzip der Welt zu widersetzen, dass keine perfekte, makellose Ordnung möglich ist, eine Ordnung ohne Unordnung. Fug und Unfug, Kosmos und Chaos gehören zueinander, stehen verwunden verwandt miteinander in Beziehung. Einer solchen verworren verdrehten Fährte folgend zieht man im Hörstück "Die relative Kunst der Unfuge" quer zu Raum und Zeit durchs Becken des auditiven Bewusstseins unserer Kultur, ist über die Grenzen von Sprache, Klang und Musik hinweg mal hier spurensuchend unterwegs, mal da. Gleich wie im Halbschlaf ist man unterwegs, dämmernd im Zwielicht. Es vermag eben nichts gänzlich zu sich zu kommen, ganz wach zu sein, vollkommen klar oder wie Shakespeare es formuliert: "Genau von solchem Stoff sind wir, vom Stoff aus dem die Träume werden."

So kommt im Hörstück eins zum anderen. Dem Titel gemäß greifen die beiden Autoren dabei immer wieder auch auf Johann Sebastian Bachs "Kunst der Fuge" zurück. Dies insbesondere deshalb, da sie dieses Musikstück von Kindesbeinen an begleitet und also geprägt hat. Einmal pro Monat war es im elterlichen Haushalt zu hören gewesen, von einem Streichquartett des Vaters gespielt. Damit wurde der heranwachsenden Generation zwar ein Monument vorgeführt, jedoch keines das absolut, starr und also unwandelbar gewesen wäre. Dies kann nicht nur an der Interpretation des Musikstücks vom zunehmend alternden Quartett festgemacht werden, sondern auch an jener Haltung, die eine nachfolgende Generation gegenüber einem elterlich hochgehaltenen Monument entwickelt. So mutierte Bachs "Kunst der Fuge" im Hörstück der beiden Brüder zur "relativen Kunst der Unfuge". Die Kunst öffnete sich zu einer "relativen Instanz", das Gefügte zum "Unfug" hin. Damit wird einem schmunzelnd vorgeführt, dass ein Erbe nicht allein im Sinne von Ernsthaftigkeit und zum Bemühen einer getreu bewahrenden Erhaltung übergeben wird, sondern auch dazu, um damit spielerisch und kreativ umzugehen. Immerhin steht dahinter eine verwunden verwandte Verbundenheit, eine Verwandtschaft und dies gleich ob man dabei Menschen vor Augen hat, Generationen oder aber all das, was sonst noch mit einem in der Welt ist.

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SWR