Karl-Sczuka-Preis 2016

Laudatio

Stand

auf Peter Kutin, Florian Kindlinger und Christina Kubisch

von Christina Weiss

Desert Bloom. Hörspielkomposition von Peter Kutin, Florian Kindlinger und Christina Kubisch

Das Preisträgerstück des Karl-Sczuka-Preises 2016 ist eine eigenwillige Hommage an eines der genialsten und zugleich verkanntesten Genies der elektrotechnischen Erfindungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts: Nikola Tesla und zugleich konfrontiert es uns mit einem unerhörten Audioporträt der Megacity Las Vegas. Peter Kutin und Florian Kindlinger waren 2015 zusammen mit der Klangkünstlerin Christina Kubisch dem nie gehörten Sound der "Desert Bloom", der Wüstenblume Las Vegas auf der Spur und komponierten gemeinsam ein Hörstück über drei Klangebenen der Stadt, die mehr Illusionen und Traumwelten provoziert und bedient als irgendein anderer Ort der Welt. Die Stadt der simulierten Klischeewelten, der falschen Versprechungen und der abgeschmacktesten Kitschevergreens präsentiert ihre Fälschungen in der technischen Reproduktion scheinbar perfekter als die realen Vorbilder wie z.B. Venedig, der Eiffelturm oder die Pyramiden Ägyptens. Über der glitzernden Welt des Glücksspiels rund um die Uhr kann selbst der Himmel ein "Fake" sein mit simulierten Sonnenauf- und -untergängen. Nikola Tesla, der Erfinder der hochfrequenten Tesla-Wechselströme, der Mann mit 700 Patenten, der geniale Kopf hinter dem Konzern von George Westinghouse, hat im Stromkrieg gegen Tomas Alva Edison verloren und starb verarmt 1943 in New York, aber er hat alle elektrontechnischen Visionen unseres Jahrhunderts vorweg gedacht, die heute eine Stadt wie Las Vegas im 24-Stundenrhythmus leuchten, klingen und funktionieren lassen. Die Klangkünstlerin Christina Kubisch ließ sich von Teslas Hypersensibilität dazu inspirieren, die unhörbaren und unsichtbaren Felder der elektromagnetischen Spannungen zu erforschen. Sie entwickelte spezielle Kopfhörer mit einem Lautsprechersystem um verborgene Klangquellen kabellos hörbar zu machen.

Mit diesem Verfahren hat Christina Kubisch ihre "Electrical Walks" durch den verborgenen Sound von Orten und Städten konzipiert. Sie notiert Hörwege vor, lässt die Rezipienten mit Kopfhörern ausgestattet ihrer eigenen Neugierspur lauschend folgen. In unserem Preisstück bringt sie in der gemeinsamen Inszenierung von Peter Kutin und Florian Kindlinger die Klangwelt der elektromagnetischen Kehrseite von Las Vegas zu Gehör. Sie selbst bewegt sich durch die innere akustische Welt der Megacity des Entertainments, die aufgezeichneten Klänge dieser Bewegung durch die normalerweise unhörbaren elektromagnetischen Spannungen werden in einen Zusammenklang mit der realen akustischen Oberfläche der Stadt komponiert. Gesprächsfetzen, kleine Geschichten der Menschen auf der Straße, pathetische Stimmen von Tourismusguides, Verkehrsgeräusche, Automatensounds, Glocken und O-Töne aus einer der mehr als vierzig Hochzeitskapellen klingen auf. Die Sprecherin Anat Steinberg intoniert mit ihrer Stimme Leitmotive und Phasen der Geschichte der Stadt. Die Sprecherstimme evoziert das Sichtbare, während die elektromagnetischen Klänge das Unsichtbare erlauschen lassen.

Oberfläche und verborgenes Innen ergänzen einander, wobei erwartbare Klischeesounds aus Las Vegas vermieden, also auch verweigert werden. Die Komposition balanciert die Parallelwelten. So hat man Las Vegas noch nie gehört. Hinter der identifizierbaren Geräuschkulisse des Ortes entdeckt uns dieses Hörstück die Klänge, Geräusche und Rhythmen der wabernden elektromagnetischen Impulse der Kommunikationsfelder, die nach außen sichtbar sind als LED-Schriften, Bildschirme, Displays, Überwachungskameras, Sicherheitssperren, Leuchten oder Automaten. Eine irritierende Klanglandschaft entsteht, es ist der Sound der Künstlichkeit hinter der Oberfläche der Glücksversprechen und Verführungsgaukeleien, der die Hörer in die akustische Brandung der Stadt bannt. Zirpende, blubbernde oder knisternde Geräusche, pulsierende, hämmernde Rhythmen, unablässiges Vibrieren und Flimmern bis hin zu aggressiv klingenden Geräuschattacken reizen die Neugier auf die unbekannten Quellen der Klänge. Es ist eine akustische Entdeckungsreise durch die ungeahnte tönende Rückseite der Illusionsmaschinen, die uns reizt, aber auch attackiert. Die Komposition des Hörstückes führt uns immer wieder an die Oberfläche zurück, gibt uns Orientierung am Ort und erkennbare Bilder gegen die spannungsgeladene Irritation durch die fremden Klänge der "sounds" und "beats" einer normalerweise unhörbaren aber ebenso realen Gegenwart. Die Klangerfahrung, die uns diese Komposition anbietet, eröffnet eine völlig neue Wahrnehmung der Klang- und Glitzerwelt der Verführung, indem sie deutlich macht, welchen elektromagnetischen Attacken wir in einer solchen elektrifizierten Umgebung - ohne es normalerweise zu spüren - ausgesetzt sind.

Christina Kubischs künstlerische Wahrnehmungsherausforderung schafft aus der Spannung zwischen Innen und Außen, zwischen Wiedererkennen und Rätselhaftem einen neuen Raum der Erkundung der örtlichen Wirklichkeit. Das Erlauschen von verborgenen unbekannten Klang- und Geräuschclustern neben der Konfrontation mit den eigenen Traumgespinsten zum Zentrum des Entertainments Las Vegas erzeugt im Hörenden zugleich die Reflexion des Hörens und der anschießenden Assoziationen als eigenwillige Selbsterfahrung. Das theatrale Element, das Christina Kubischs Werk - vor allem ihren "electrical walks" - eigen ist, indem der Hörende die elektromagnetischen Klänge im Kopfhörer durch seine Bewegung selbst zusammenstellt, ereignet sich im Hörstück durch die dreischichtige Komposition aus elektromagnetischem Geräuschfeld, dem Soundscape des Ortes mit Straßengeräuschen und Gesprächen und gesprochenem Text als ständiger Wechsel zwischen den Soundebenen der Stadt und ihren Leitmotiven.

Das Hörstück von Christina Kubisch, Peter Kutin und Florian Kindlinger mit seiner mehrschichtigen Spurensuche nach den Geräuschen der Stadt und der besonderen Recherche im Bereich des Unhörbaren lässt sich zwar in der Tradition von John Cages Geräuschmusik begreifen, aber Vergleichbarkeit findet sich noch eher in Klangarbeiten bildender Künstler wie Rolf Julius oder der schwedischen Künstlerin Nina Canell, die beide den Dingen der Alltagswelt eine Klangwelt hinzufügen.
Nina Canell fügt alltäglichen Materialien wie zum Beispiel Drähten aus Formgedächtnislegierungen durch elektrische Manipulation der sichtbaren eine klangliche Textur hinzu. Rolf Julius forscht nach den Klängen von Alltagsdingen und erzeugt die gefühlten Sounds künstlich in elektronischen Apparaturen, er hat sein Arbeitsmotto Cage-gemäß in ein Haiku gefasst: "man sollte sich einmal öfter nach Tönen bücken, die überall herumliegen".

Christina Kubisch deckt Unhörbares auf und weitet damit unsere Wahrnehmungsmöglichkeit in Bereiche, die uns zwar dicht umgeben, aber normalerweise nicht von uns wahrgenommen, wenn auch erlebt werden.

Das genaue Hinhören und der Reiz der Neugier auf Unerhörtes, haben die Jury überzeugt, deshalb geht der Karl-Sczuka-Preis 2016 an das Hörstück "Desert Bloom" von Christina Kubisch, Florian Kindlinger und Peter Kutin. Herzlichen Glückwunsch!

Donaueschingen im Oktober 2016
Prof. Dr. Christina Weiss

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SWR