2017 ist der Roman „Was man von hier aus sehen kann“ von Mariana Leky erschienen, ein preisgekrönter Bestseller. Jetzt kommt die Verfilmung ins Kino. Der Westerwald, in dem die Geschichte spielt, ist im Film nicht ganz so zauberhaft wie im Buch.
Immer, wenn Großmutter Selma von einem Okapi träumt…
Martin und Ich-Erzählerin Luise wachsen in den 1980er-Jahren in einem kleinen Westerwald-Ort auf. Dass sie später einmal heiraten werden, ist für alle beschlossene Sache. Für die Kinder, aber auch für Großmutter Selma und deren Jugendfreund, den Optiker. Und für verschiedene andere skurrile Bewohner des Ortes. Wenn da nur Selmas unheilvoller Traum nicht wäre.

Immer, wenn Großmutter Selma von einem Okapi träumt, stirbt jemand im Dorf, innerhalb der nächsten 24 Stunden. Und weil Selmas Traum sich dann doch rasend schnell den Weg in die Öffentlichkeit bahnt, herrscht bald ein großes Durcheinander.
„Einige Leute im Dorf fanden, dass es jetzt, angesichts des nahenden Todes unbedingt an der Zeit sei, mit einer versteckten Wahrheit herauszurücken“, erzählt Luise im Film. „Die Leute schrieben Briefe, ungewohnt wortreiche, in denen von „immer“ und „niemals“ die Rede war. Bevor man stirbt, dachten sie, sollte man wenigstens auf den letzten Drücker Wahrhaftigkeit ins Leben bringen.“

Luna Wedler als Luise – eherverschrobener Bauerntrampel als ätherisches Wesen
Das Buch von Mariana Leky ist auch deshalb so erfolgreich, weil es Züge eines Märchens trägt. Nicht nur wegen Selmas Okapi-Träumen, sondern auch durch die Figur der Luise. Im Roman ist sie ein ätherisches Wesen, das alle verzaubert und bei dem Gegenstände herunterfallen, wenn Luise lügt. Die Luise von Schauspielerin Luna Wedler ist im Film eher ein verschrobener Bauerntrampel.
Ohnehin ist vieles, was im Roman hübsch und zauberhaft und liebenswert erscheint, in der Verfilmung eine Spur düsterer. So, als sei Regisseur und Drehbuchautor Aron Lehmann die von Mariana Leky gezeichnete übernatürliche Schönheit nicht ganz geheuer gewesen. Mit Corinna Harfouch als Selma hat er allerdings eine Idealbesetzung gefunden. Und das, obwohl sie kein bisschen aussieht wie Rudi Carrell, wie es doch im Buch heißt.

Die fabelhafte Welt der Amelie à la Westerwald
Die großen Themen des Lebens finden sich im Kleinen wieder, in der westdeutschen Provinz der 1980er- und 90er-Jahre. Was Mariana Leky auf über 300 Seiten und in einer erzählten Zeit von mehr als 20 Jahren ausbreiten konnte, musste für den Film zwangsläufig gerafft werden. Anfangs sei sie von der Idee einer Verfilmung nicht überzeugt gewesen, sagt die Autorin.
In die Entstehung des Films wurde sie schließlich eng eingebunden. Das Ergebnis ist eine Art fabelhafte Welt der Amelie à la Westerwald. Ein Wohlfühlfilm mit skurrilem Personal und einzelnen Szenen, die ans Herz gehen. Den besonderen Zauber des Buches kann der Film aber nur selten einfangen. Während man nach der Lektüre sofort in den Westerwald reisen will, denkt man beim Film mit seinen dunklen, muffigen Häusern und den stockfleckigen Fassaden eher an Landflucht.

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Mehr zur Romanautorin Mariana Leky
Hörbuch-Kritik Mariana Leky: "Was man von hier aus sehen kann." Gelesen von Sandra Hüller.
Immer, wenn Selma von einem Okapi träumt, stirbt jemand aus diesem Dorf im Westerwald innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden. Dieses Mal wird sich der Tod zwar etwas verspäten, aber dann kommt er doch. Das ist sehr traurig, aber noch lange nicht das Ende. Mariana Leky hat mit „Was man von hier aus sehen kann“ einen Roman geschrieben, der alles hat, was eine Geschichte braucht: die Liebe und den Tod, Weisheit, Humor und Magie. Alles ist eng miteinander verwoben, wie im richtigen Leben auch. Nur, dass wir ein Buch wie dieses brauchen, um das zu merken.