
Wie immer trügt die Idylle
„Sløborn“ ist eine Erfindung. Gedreht wurde für die Serie 2019 auf Norderney und an der polnischen Küste. Die Bilder ergeben einen idealtypischen Ort für Nordseetouristen: Fähranleger, schnucklige Häuschen, rot gepflasterte Straßen. Aber die Idylle ist, wie eigentlich immer, in erster Linie äußerlich. In den Familien, im sozialen Miteinander, steckt Sprengstoff: die 15-jährige Evelyn zum Beispiel kommt von einer Schulfreizeit zurück und sieht ziemlich übel aus.
Schnell wird klar: sie ist schwanger von dem Vertrauenslehrer ihrer Schule. Ein früherer Bewohner der Insel kehrt mit straffälligen Jugendlichen zurück, um hier ein soziales Projekt zu gründen. Was Unmut in der Bevölkerung hervorruft. Und die Buchhändlerin der Insel hat ihr Idol für eine Lesung eingeladen, einen Schriftsteller, der ein drogenabhängiger Großstadtdandy und ziemlich knapp bei Kasse ist
Die Insel wird zur Falle
Das Katastrophenszenario kündigt sich da zunächst nur im Radio an: Meldungen von der äußerst gefährlichen Taubengrippe, die in Asien um sich greift. Als eine Yacht mit zwei Toten an den Strand treibt, wird die Insellage zur Falle. Neugierige Jugendliche verbreiten das Virus. Die Folgen: Husten, Schwitzen, blutende Augen. Mit Mund-Nasenschutz und Ausgangssperre drohen alle Pläne der fragilen Inselwirtschaft zu zerbrechen.
Die Serie „Sløborn“ baut ihr Erzähltempo sehr geschickt auf, indem sie dem Inselleben und insbesondere dem sozialen Geschehen in Evelyns Schulklasse viel Raum gibt. Die kühlen Bilder schaffen eine klaustrophobische Atmosphäre, aus der viele ohnehin ausbrechen wollen. Wie Evelyns Vater, gespielt von Wotan Wilke Möhring, der schon drauf und dran ist, seine Familie zu verlassen
Virus wird zum Verstärker der Konflikte
So bricht das Virus nicht wie eine Naturkatastrophe über die Insel herein, sondern wird eher zum Katalysator und Verstärker schon vorhandener Konfliktfelder. Es ist frappierend, wie hellsichtig die Serie manche gesellschaftlichen Prozesse beschreibt, die während der Coronakrise zu Tage getreten sind: Existenzängste, Sozialneid, militanter Widerstand gegen behördliche Anordnungen, aber auch Solidarität.
Schweres Gerät, Einzelkämpfer und Ästhetik der Till-Schweiger-Tatorte
Als dann die Lage eskaliert, zeigt Serienschöpfer Christian Alvart, dass er nicht umsonst der Kopf hinter den Till-Schweiger-Tatorten ist. Jede Menge schweres Gerät, Bundeswehr-Action, Einzelkämpfermentalität und tiefgreifende Skepsis gegenüber staatlichen Institutionen.
Das hat eine Vehemenz, bei der sich auch Verschwörungsideologen abgeholt fühlen dürften, und nimmt der Serie damit einiges von ihrer beunruhigenden Kraft, die sie in der ersten Hälfte noch verströmt. Soll man das Timing nun glücklich nennen? Auf jeden Fall wäre „Sløborn“ ohne Corona nur ein weiteres Katastrophen- und Science-Ficiton-Filmszenario gewesen. Nun wirkt die Serie wie eine Mutation der Wirklichkeit. Und es steht zu befürchten: Fortsetzung folgt …