Filmkritik

„The Whale“ von Regisseur Darren Aronofsky – Allein Hauptdarsteller Brendan Fraser überzeugt

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AUTOR/IN
Rüdiger Suchsland
ONLINEFASSUNG
Clemens Zoch

Der Protagonist von „The Whale“ ist ein fettsüchtiger homosexueller Mann, der dabei ist, sich selbst zu zerstören. Er liegt den ganzen Film über auf der Couch in seiner schummrigen Wohnung und weiß, dass er bald sterben wird. Brendan Fraser hat für sein eindrucksvolles Spiel der Hauptrolle einen Oscar erhalten. Die Filme von Darren Aronofsky sind allesamt provokant und kontrovers, sein neustes Werk „The Whale“ ist da nicht anders.

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Hemmungslose Fress-Gelage gegen die Traurigkeit

Nachdem er mehrere Traumata erlitten hat, wird der fettleibige, herzkranke und homosexuelle Englischlehrer Charlie zum Einsiedler. Jedes Mal, wenn seine Traurigkeit einen neuen Höhepunkt erreicht, verfällt er in ein hemmungsloses Sauf- und Fressgelage.

Er stopft sich die Kartoffelchips und Pizzaränder hinein bis sie links und rechts aus den Mundrändern herauspurzeln, gießt mit Cola oder Milchshakes nach, um kurz darauf einen Zuckerschock zu bekommen und in einen Tiefschlaf zu fallen.

The Whale  (Foto: © Courtesy of A24)
Charlie (Brendan Fraser) lebt zurückgezogen. Sein einziger Kontakt nach außen ist der virtuelle Unterricht als Englischlehrer, seine Freundin Liz und ein Vogel, den er behutsam füttert.

Charlie – ein einziger riesiger Kloß Selbstmitleid

Charlie  – in der körperlich herausfordernden Rolle gespielt von Brendan Fraser – ähnelt in gewisser Weise der Säufer-Figur in „Leaving Las Vegas“ von Nicolas Cage: Es geht um weinerliche Männer, die vom Todestrieb bestimmt sind und zuvor einen Prozess der Selbstgeißelung erleben. Charlie ist ein einziger riesiger Kloß Selbstmitleid. Ständig jammert er über schmerzhafte Ereignisse in seiner Vergangenheit.

Der Verlust seines Geliebten wird von Filmemacher Darren Aronofsky zur psychologischen Erklärung verwendet. Auf diese Weise erfahren wir, dass Charlie sterben will, weil er nie über den Verlust dieses Geliebten hinwegkommen wird. Wir Zuschauer werden Zeuge der letzten Woche, im Leben von Charlie. Der todkranke Lehrer versucht, noch einmal Kontakt zu seiner verlorenen Tochter aufzunehmen.

The Whale  (Foto: © Courtesy of A24)
Charlie (Brendan Fraser) leidet an schwerer Adipositas. Ihm läuft langsam die Zeit davon, um einen letzten mutigen Versuch zu unternehmen, sich mit seiner Familie zu versöhnen.

Eltern-Kind-Konflikt und Religion zentrale Themen bei Aronofsky

Wie in „The Wrestler“ von 2008, Aronofskys bislang erfolgreichsten Film, geht es erneut um einen Mann mit Herzproblemen, der versucht, sich mit der Tochter zu versöhnen, die er verlassen hat. 

Seltsamerweise wählt der Regisseur auch wieder die Perspektive eines Subjekts, das dem Publikum erst einmal Widerwillen verursacht, aber von diesem geliebt werden soll, weil es nach Erlösung sucht. 

Seit einiger Zeit sind Darren Aronofskys Film deutlich durch zwei beständige Themen geprägt: Den Konflikt zwischen Eltern und Kindern und die Religion. 

Was interessiert Aronofskys so sehr an der Rolle des Sünders?

In „The Whale“ steht ein Mann im Mittelpunkt, der seine Sünden zugibt und als bemitleidenswert gelten soll. Was ist es, das den Filmemacher so sehr an diesem Modell eines Sünders fasziniert, der darum kämpft, dass ihm vergeben wird?

Um diese Thematik zu vertiefen, gibt es hier noch die Figur eines jungen Mannes, der von einer religiösen Sekte beauftragt an den verschiedenen Wohnungstüren klingelt, um Menschen zu bekehren. Charlie wird zu seinem Projekt – er lässt nicht locker im Versuch, eine Beziehung zu dem sterbenden Dicken aufzubauen, und enthüllt dabei mehr und mehr sein eigenes Hadern mit dem Glauben, seine inneren Zweifel.

The Whale  (Foto: © Courtesy of A24)
Der hilfsbereite junge Missionar Thomas (Ty Simpkins) steht plötzlich vor Charlies Tür und beschließt, dessen Seele zu retten.

Die Rolle der Tochter Charlys ohne eigenständigen Charakter

Es gibt noch andere Probleme in der Konstruktion dieser Geschichte, in der die verlassene Tochter gelegentlich auftaucht, vor allem, um den Vater zu beschimpfen. Sie wird jedoch zunehmend zu einem Instrument der Erlösung des Vaters. Als eigener Charakter interessiert sie den Regisseur nicht; sie ist nur ein Mittel zum Zweck. Und wird zu jemandem, dessen Herz irgendwann durch den Vater erweicht wird.

Hinzu kommt der Anachronismus in der Darstellung von Charlies Homosexualität: Sie wird als Sünde des Vaters gegen die Tochter beschrieben, und sie wird als grundsätzlich tragisch geschildert. Es ist, als ob die schwule Liebe dem Glück im Vorhinein entsagen muss. 

The Whale  (Foto: © Courtesy of A24)
Sie erlebte eine Kindheit ohne Vater: Charlies Tochter Ellie (Sadie Sink) steckt voll angestauter Wut.

Allein das Spiel von Hauptdarsteller Brendan Fraser überzeugt

Alles dies kann man natürlich der Vorlage zuschreiben, einem in den USA leidlich erfolgreichen Theaterstück. Hier aber ist ein Film zu bewerten der auf filmisches weitgehend verzichtet indem er ganz und gar in dem einen Raum festklebt indem die Hauptfigur gefangen ist. Dieser Film verzichtet ganz und gar auf filmische Momente was an ihm gut ist, ist einzig und allein das Spiel des Darstellers der Hauptfigur.

Ein Film voller Behauptungen darüber, woraus der Mensch angeblich wirklich gemacht ist. Verachtenswert? Ganz und gar nicht. Ekelhaft? Schon gelegentlich. Mit dem Argument das sei doch alles einfach nur menschlich, lässt sich vieles begründen. 

Aronofskys „The Whale“ ist ein manipulativer Film, ein einziger Bluff in Pottwalgröße.

Trailer von „The Whale“:

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