„Dark“-Fans kommen voll auf ihre Kosten

Serie „1899“ von Baran bo Odar und Jantje Friese: Fantastische Reise zum Mittelpunkt der Menschlichkeit

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Karsten Umlauf

„1899“ spielt auf dem Dampfer „Kerberos“. Was aussieht wie ein Aufbruch ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wird zu einer Begegnung mit einem geheimnisvollen Geisterschiff. Und mit der eigenen Vergangenheit. Die Serie, die am 17.11.2022 bei Netflix startet, steckt voller Symbolik, ist manchmal überfrachtet, meistens aber ein aufregendes, tiefenpsychologisches Puzzle, in dem nichts ist, wie es scheint. 

Ein rätselhaftes Geisterschiff taucht auf

Tausende Tonnen Stahl, vier Schlote blasen tiefschwarzen Qualm in die Luft. Die „Kerberos“ transportiert über 1500 Menschen von Europa nach Amerika. Elegant getäfelte Kabinen für die erste Klasse-Passagiere aus Frankreich, Spanien oder Japan, eng gestellte Massenunterkünfte unter Deck für eine Gruppe von dänischen Pilgern.

Das Schiff ist wie ein Labor für soziale Unterschiede, kulturelle Differenzen, Liebesdramen. Was die Reisenden eint, ist die Hoffnung auf einen Neustart in Amerika. Bald aber kommt die Fahrt über den graublauen Ozean zum Stillstand.

Kapitän Eyk Larsen bemerkt Notrufe von der „Prometheus“, dem Schwesterschiff der Kerberos, das seit vier Monaten vermisst wird.

Volle Dröhnung Mystery

Das ist längst nicht alles: in Träumen holt nun einige Passagiere die Vergangenheit wieder ein, vor der sie mit der Kerberos fliehen wollten. Auch Kapitän Eyk.

Er hat den Tod seiner Familie nicht verwunden, an Bord erscheint ihm seine ermordete Tochter. Die englische Ärztin Maura ist auf der Suche nach ihrem verschollenen Bruder. Sie, Eyk und einige andere Passagiere haben vorher Briefe mit erratischen Botschaften erhalten

Zum Serien-Start von „1899“ 5 Gründe, warum man die Serie „Dark“ gesehen haben sollte

Rund um den Globus rätselten die Fans über die verworrenen Handlungsstränge der deutschen Sci-Fi-Serie „Dark“: Die erste Netflix Serie, die in Deutschland entwickelt, produziert und gedreht wurde. Jetzt steht mit „1899“ eine neue Serie der beiden Macher Bo Odar und Jantje Friese in den Startlöchern. Wer „Dark“ noch nicht gesehen hat, sollte das unbedingt nachholen.

Jantje Friese und Baran bo Odar verabreichen einem in den sechs Folgen, die man im Vorfeld sehen konnte, die volle Dröhnung Mystery. Und das Schiff mit seinem schwankenden Untergrund, den schummrig beleuchteten Fluren bietet ihnen die perfekte Bühne.

Tiefenpsychologisches Suchspiel

Im Hintergrund flüstert und raunt es, es knarzt und ächzt. Nichts ist so wie es scheint, aber was ist real, was Einbildung? Das ist manchmal ganz schön dick aufgetragen.

„1899“ spielt mit verschieden Genres, vom Horror bis zum actionreichen Seefahrer-Drama, ist gespickt mit alchemistischen, religiösen und anderen Symbolen.

Der Grat zum düsteren Schwulst und zur artifiziellen Überfrachtung ist schmal und wird nicht alle begeistern. Die Serie entpuppt sich vor allem als tiefenpsychologisches Suchspiel, und die Reise ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten als Illusion.

Brillante schwermütige Optik

Wer schon bei der Serie „Dark“ gerne mitgerätselt hat, kommt aber auch bei „1899“ voll auf seine Kosten. Friese und bo Odar verstehen es meisterhaft, eine Geschichte, so zu bauen, dass man sie erst mal nicht kapiert, aber immer mehr Lust bekommt, das Puzzlespiel zu lösen.

Die Serie wurde in einem virtuellen Produktionsstudio in Babelsberg gedreht und besticht durch ihre brillante schwermütige Optik. Manchmal wirkt das wie ein Ölgemälde in Bewegung, zwischen Caspar David Friedrich und William Turner.

Aufregender Serienstart

Einen ihrer stärksten Kunstgriffe bekommt man aber nur in der untertitelten Originalversion mit: alle reden in ihren Muttersprachen, verstehen nicht genau, was der andere spricht und können sich doch über Gestik, Mimik, Emotion verständigen.

Vielleicht ist das ja die fantastische Reise zum Mittelpunkt der Menschlichkeit. Auf jeden Fall einer der aufregendsten Serienstarts des Jahres!

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Karsten Umlauf