Der Abgrund lauert in Wuppertal hinter jeder Ecke. Zumindest für Polizistin Luise Berg, denn sie hat den Mord an ihrer Tochter vor sieben Jahren noch nicht verwunden. Als der Mörder wieder auf freien Fuß kommt, ändert sich für Luise alles. Das sechsteilige Polizistinnen- und Familiendrama mit einer großartigen Anne Ratte-Polle und einem erstaunlichen TV-Debüt für Anton Dreger ist auf RTL+ zu sehen.
Wiedersehen mit dem Mörder der eigenen Tochter
Eigentlich ein ganz normaler Tag auf Streife, ein randalierendes Kind im Baumarkt. Luise Berg hat die Lage unter Kontrolle, bis sie Dennis an der Kasse erblickt, den Mörder ihrer Tochter Merle.
Damals ein adipöser strapshaariger Koloss mit Sprachblockade, jetzt ein durchtrainierter attraktiver Mann. Wegen guter Führung und Sozialprognose ist seine Jugendstrafe verkürzt worden. Luise ist fassungslos.

Die Intuition einer Polizistin
Luise ist seit dem Mord aus dem Tritt, sie lebt getrennt von ihrem Mann und ihrer jüngeren Tochter Josie, manche Abende verabredet sie sich zum Sex in einer Truckerabsteige. Und auch wenn sie verhärmt und abgerissen wirkt, ihre Intuition sagt ihr gleich, dass der angeblich geläuterte Dennis nichts Gutes im Schilde führt.
Kurze Zeit später sieht man den mit schwarzem Hoodie und Akkuschrauber, wie er in einem versifften Camp im Wald einen Mann an die Wand kreuzigt. Luises Warnungen tut ihr Chef allerdings ab als Hirngespinste einer verletzten Mutterseele.
Wuppertal als Krimi-Drehort entdeckt
„Zwei Seiten des Abgrunds“ gehört zu einer ganze Reihe von Serien, in denen ein nicht ganz einfacher Charakter einen persönlichen Fall auf eigene Faust lösen muss oder will und sich dabei in manch fixe Idee verrennt. Hier sticht erst mal der Ort heraus: Wuppertal und das in der Nähe gelegene Grenzgebiet von Belgien.
Bisher kein heißes Pflaster für Film- oder Seriendrehs, aber das morbid gedämpfte Flair der Stadt mit der postfuturistischen Magnetschwebebahn als Rückgrat und dem schwarz glänzenden Fluss der Wupper verleihen der Serie schon einen sehr eigenen Look.

Täter- und Opferrollen verschwimmen
Von Anfang an sieht man das Unheil kommen, die spannende Frage ist dabei, was noch alles passieren mag und inwiefern man Täter und Opfer deutlich auseinanderhalten kann. In verschiedenen Rückblenden bekommt auch das hehre Bild der ermordeten Tochter Merle, die Dennis damals Nachhilfe gegebenen hatte, immer mehr Risse.
Wo es um den Schutz von Kindern und Jugendlichen geht, hat der Abgrund zwei Seiten, die Vernachlässigung, Bevormundung oder gar Missbrauch bedeuten können. Das Drehbuch von Kristin Dörfler arbeitet das nicht immer optimal heraus, manchmal trägt es zu dick auf und überstrapaziert die Glaubwürdigkeit der Figuren.

Starker Cast mit Anton Dreger, Lea van Acken und Anne Ratte-Polle
Aber das wird von einem starken Cast aufgefangen: Anton Dreger gelingt ein erstaunliches Debüt als Dennis. Ihm gelingt der Spagat, einen empfindsamen und gleichzeitig kalt berechnenden Mörder zu spielen. In den Rückblenden taucht er im Fat-Suit auf, als hilfloser Junge mit angstscheuem Blick, trotzdem schafft er eine Verbindung zwischen dem Gestern und Heute seiner Figur.
Auffällig auch Lea van Acken als Tochter Josie, allen voran aber überzeugt Anne Ratte-Polle als Luise mit dem Mut, eine vom Leben gezeichnete Frau zu spielen, die als Mutter viele Fehler begeht, einen harten Lernprozess durchmacht und doch bei sich bleibt. Zwischen dem festen Glauben, im Recht zu sein und der Wut der Verzweiflung.
Trailer „Die zwei Seiten des Abgrunds“, sechsteilige Krimiserie auf RTL+ und Warner TV
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