„Du machst einen Film für den Fall, dass ich sterbe oder?“
Das sagt Alexei Nawalny zum jungen kanadischen Regisseur Daniel Roher. Und in der Tat schwingt die Möglichkeit von Nawalnys Tod in dieser Doku immer mit. Roher hat den russischen Oppositionellen während dessen Zeit in Deutschland 2020 begleitet. Also nach seiner Entlassung aus der Berliner Charité und vor seiner Rückkehr nach Russland, wo er gleich nach der Ankunft verhaftet wurde.
„Gift hinterlässt immer eine Spur”: „Nawalny” im Kino

Schärfster Putin-Kritiker
Der Kurort St. Blasien im Schwarzwald ist in seiner verschneiten Weltabgeschiedenheit die skurril anmutende Kulisse, vor der Nawalny versucht herauszufinden, wer den Nervengift-Anschlag auf ihn verübt hat. Der Film porträtiert den Antikorruptionsaktivisten als unbeugsamen Gegner Putins. Ob er aber tatsächlich auch für Werte wie Demokratie und Menschenrechte kämpft, kann der Film nicht letztgültig beantworten. Von seinen Auftritten vor Rechten mag sich Nawalny jedenfalls nicht wirklich distanzieren.
Perfekte Selbstinszenierung
Nawalny wirkt sympathisch, witzig und charismatisch, aber auch berechnend. Man merkt, dass er eine sehr genaue Vorstellung davon hat, wie er sich präsentieren will, sei es als Protagonist dieser Doku oder in den sozialen Netzwerken, wo er Millionen Follower*innen hat.
Als Mensch kommt man ihm nicht wirklich nahe. Fast interessanter als der Protagonist wirkt im Film der bulgarische Journalist Christo Grozev vom Recherchenetzwerk Bellingcat. Er ermittelt Nawalnys mutmaßliche Attentäter ausschließlich mithilfe von im Darknet gekauften Daten. Diese investigative Recherche ohne eine einzige menschliche Quelle erscheint wie Magie.

Ästhetisch unaufregend, spannend wie ein Politthriller
Ästhetisch ist „Nawalny“ nicht sonderlich aufregend. Die Doku besteht über weite Strecken aus wackeligen Handyaufnahmen, Social Media Posts oder Nachrichtenbildern. Ihre Stärke liegt in der Story.
Auch wenn man das Ende bereits kennt, entfaltet sich die Spannung eines Politthrillers bis hin zum Herzstück des Films: der langen, teilweise absurd komischen Szene, in der Nawalny dem zuständigen Chemiker in einem einstündigen Telefongespräch die ganze Geschichte seiner eigenen Vergiftung entlockt.
Nachruf auf einen, der Putin widersprach
Der Chemiker ist übrigens seitdem spurlos verschwunden. Und Nawalny bekanntlich Insasse einer Strafkolonie. Die letzten Bilder zeigen ihn während seines Prozesses. Er sieht abgezehrt aus, ohne das innere Leuchten, das ihn vorher ausgezeichnet hat.
Plötzlich wirkt der Film tatsächlich wie der Nachruf auf einen der letzten, die es gewagt haben, Putin die Stirn zu bieten. Dass er das gerade jetzt nicht mehr tun kann, ist schmerzhaft.