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„Die erfundene Wahrheit“: Doku über Relotius-Affaire stößt auf Mauer des Schweigens beim „Spiegel“

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Jan Tussing
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Lydia Huckebrink

Es war der Medien-Skandal der letzten Jahre: 2018 wurde bekannt, dass der preisgekrönte „Spiegel“-Reporter Claas Relotius es mit der Wahrheit nicht so genau nahm – über Jahre hinweg, ohne, dass jemand eingriff. Wie das passieren konnte, ausgerechnet beim größten Nachrichtenmagazin Europas, zeigt die Sky-Doku „Die erfundene Wahrheit“. Während seiner Recherchen stieß Regisseur Daniel Sager auf eine Mauer des Schweigens.

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Schwierige Recherche

Vollständig Transparenz hatte der „Spiegel“ angekündigt, nachdem bekannt geworden war, dass Starjournalist Claas Relotius in seinen Reportagen regelmäßig Fakt und Fiktion vermengt hatte.

Bei seiner Recherche zum Relotius-Skandal hat Daniel Sager eine andere Erfahrung gemacht. ,,Man hatte den Eindruck, dass dem „Spiegel“, was Transparenz angeht, in diesem Fall nicht so viel gelegen ist", sagt der Regisseur in SWR2.

Relotius genoss einen Vertrauensvorschuss

Zahlreiche Kolleginnen und Kollegen von Relotius fragte Sager an, doch reden wollte so gut wie niemand. „Es war schwierig überhaupt diesen Film zu machen“, sagt der Regisseur. Das er trotzdem glückte, sei zwei Personen zu verdanken, die in der berühmten ,,Dokumentation", der Fact-Checking-Abteilung des „Spiegel“ arbeiten.

Sie sagen, dass drei Dinge Relotius jahrelanges Agieren begünstigten: Personal- und Zeitmangel in der Dokumentationsabteilung und ein großer Vertrauensvorschuss seitens seiner Vorgesetzten.

Verdächtiges gab es schon früh

Hinweise auf Relotius unsaubere Arbeitsweise habe es schon gegeben, lange bevor dessen Kollege Juan Moreno den Fall aufgedeckt habe, sagt Sager. Ob man von Mittäterschaft oder zumindest Mitwissenden beim „Spiegel“ ausgehen müsse, könne er jedoch nicht abschließend beurteilen.

Zeitgenossen Juan Moreno: „Wenn ich Mist esse, werde ich krank. Und wenn ich Mist lese, werde ich blöd.“

Er hat den Fälschungsskandal um den SPIEGEL-Reporter Claas Relotius aufgedeckt, einen der größten Medienskandale der letzten Jahrzehnte. Dabei ist er selbst einer der bekanntesten Autoren des SPIEGEL: Juan Moreno.

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Dafür hätten sich zu wenig Menschen vom „Spiegel“ bereit erklärt, mit ihm zu sprechen. Gesprochen hat Sager stattdessen mit den Betroffenen: Menschen, die zum Opfer von Relotius Falschdarstellungen wurden.

Auch mit einer Journalistin, die mit ihm zusammengearbeitet habe, bis er sie fallen gelassen und den Ruhm für die Recherche allein eingestrichen habe. Diese bekämen im Film nun endlich ,,eine Stimme ", sagt Sager.

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Gespräch Relotius-Satire „Tausend Zeilen“: Bully Herbig hat den Medienskandal verfilmt

„Für uns war klar, dass Bully Herbig einer der wenigen in Deutschland ist, die diesen Stoff umsetzen konnten“, sagt UFA-Filmproduzent Sebastian Werninger über den Film „Tausend Zeilen“. DIe Mediensatire befasst sich mit dem Journalismus-Skandal um Claas Relotius, dessen erfundene Geschichten unter anderem beim Spiegel, der Financial Times und der Zeit erschienen waren.

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Zeitgenossen Juan Moreno: „Wenn ich Mist esse, werde ich krank. Und wenn ich Mist lese, werde ich blöd.“

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Buchkritik Juan Moreno - Tausend Zeilen Lüge. Das System Relotius und der deutsche Journalismus

Der Journalist Juan Moreno ließ Ende vergangenen Jahres den Hochstapler Claas Relotius beim „Spiegel“ auffliegen. Nun hat er seinen aufregenden Bericht zur Skandalgeschichte vorgelegt, der Titel: „Tausend Zeilen Lüge. Das System Relotius und der deutsche Journalismus“.
Rezension von Stefan Berkholz.

Rowohlt Berlin Verlag
ISBN 978-3-7371-0086-1
288 Seiten
18 Euro

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