Von einer queeren Dreiecksbeziehung erzählt der amerikanische Regisseur Ira Sachs in seinem neuen Film. Möglicherweise ja auch ein verkapptes Selbstporträt. Im Mittelpunkt: der Regisseur Tomàs, verkörpert von Franz Rogowski, 1986 in Freiburg geboren – preisgekrönter Star auf Bühne und Leinwand, ohne je eine Schauspielausbildung absolviert zu haben. Das könnte eine leichtfüßige Komödie werden. Aber man sollte genau hinschauen.
Ehrlich bis zur Schmerzgrenze
Er ist faszinierend, kapriziös, einnehmend und ehrlich bis zur Schmerzgrenze. Ein erfolgreicher Filmregisseur, der gewohnt ist, die Schauspieler nach seinem Plan zu verschieben wie Schachfiguren. Der deutsche Filmregisseur Tomàs lebt in Paris und dreht gerade die letzten Szenen für seinen neuen Film ab. Danach feiert das ganze Team – auch Martin, der Ehemann von Tomàs.
Zufällig ist auch Agathe bei der Party. Mit ihr geht Tomàs erst auf die Tanzfläche und danach ins Bett. Franz Rogowski spielt die flirrende Hauptfigur mit angerissener Stimme, sensibel, durchsichtig. Die Gefühle huschen über sein Gesicht, die Augen sind weit geöffnet. Man kann in seine Seele schauen, glaubt man. Ben Wishaw, der in Jane Campions „Bright Star” den englischen Dichter John Keats gespielt hat, ist als Martin ein bodenständiger Partner.

Verletzlicher Künstler scheut Verbindlichkeit
Der Regisseur Ira Sachs kleidet seine Hauptfiguren sichtbar gegensätzlich. Ben Wishaw trägt einen unscheinbaren grauen Blouson. Franz Rogowski als Tomàs dagegen wirkt in flauschigem Teddyfell, in fluffigen Wollpullovern oder im transparenten Leibchen zerbrechlich wie ein Küken. Agathe, gespielt von Adèle Exarchopoulos, lässt sich faszinieren von diesem verletzlichen Künstler. Sie wird schwanger. Damit bekommt die Beziehung eine neue Bedeutung. Aber je verbindlicher sie wird, desto nervöser wird Tomàs. Er will Martin zurück gewinnen.
Listige Charakterstudie
Ira Sachs hat in Paris gedreht, in engen Wohnungen, in denen die Menschen kaum aneinander vorbeigehen können, ohne sich zu streifen. Das klaustrophobische Set erinnert an Fassbinders maliziöses Machtspiel „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“. Allerdings reduzieren die Innenräume die Inszenierung auf Essens- und Bettszenen. Kleiner Wermutstropfen in dieser listigen Charakterstudie, die für einen Moment einen neuen Dreh bekommt. Die beiden Männer könnten gemeinsam mit Agathe ein Kind großziehen.

Franz Rogowski bezirzt mit Charme
Ira Sachs praktiziert dieses Familienmodell mit seinem Ehemann Boris Torres. Die beiden haben Zwillinge und teilen sich die Erziehung mit der Mutter der Kinder, die in der Wohnung nebenan lebt. Aber „Passages“ ist keine politisch korrekte Regenbogenkomödie, sondern das luzide Porträt eines manipulativen Menschen. Die große Kunst von Franz Rogowski besteht darin, dass sich auch das Publikum von seinem oszillierenden Charme bezirzen lässt. Wie gut, dass sich die bodenständigen Langweiler gegen die zerstörerische Kraft des Narzissmus wehren können. Am Ende sieht der glänzende Selbstdarsteller ziemlich blass aus.
Trailer „Passages“, ab 31.8. im Kino
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